Neustadt Gespräche bis zum Morgengrauen

Neustadt. Nachrichten aus einer anderen Welt sendet Michael Degen in seinem Roman „Der traurige Prinz“. Der Schauspieler, der auch ein Schriftsteller ist und mit seiner verfilmten Autobiografie „Nicht alle waren Mörder“ auf etlichen Bestsellerlisten stand, beschreibt darin eine nächtliche Begegnung mit dem österreichischen Kollegen Oskar Werner (1922–1984).

Nur um den jungen Kollegen auf der Bühne zu sehen, ist dieser 1983 zu einer Inszenierung von Strindbergs „Fräulein Julie“ nach Vaduz gekommen. Der legendäre Theater- und Filmschauspieler, der sich aus dem Geschäft zurückgezogen hat, wohnt ganz in der Nähe und nötigt Degen, ihn „auf einen Drink“ in sein Landhaus zu begleiten. Dass sich daraus ein spannendes Gespräch entwickelt, können sich vermutlich all jene Leser gut vorstellen, die den blonden, skrupulösen, mitnichten heldischen Helden mit dem Schiffsarzt im Film-Klassiker „Das Narrenschiff“ nahtlos identifiziert haben. Auch er war sein ganzes Leben lang ein Trinker, ein „heiliger Trinker“ fast, wie Joseph Roth dies bezeichnet hätte, der den Alkohol gleichfalls als kreative Stimulans benutzte. 1922 in Wien geboren als Oskar Josef Bschließmayer, übernahm Werner bereits als Schüler Sprechrollen beim Rundfunk, arbeitete in Film-Produktionen als Statist und wurde 1941, kaum 20 Jahre alt, am Burgtheater engagiert. Dort blieb er auch nach dem Krieg. Spätestens seit 1949, als man ihm in der österreichisch-britischen Produktion „Der Engel mit der Posaune“ die Hauptrolle gab, entwickelte er sich jedoch auch zum Filmstar, was ihn nicht selten in Zwiespalt mit seinen theatralischen Idealen brachte. Nicht nur Hollywood wollte ihn haben, auch François Truffaut, mit dem er den Kultfilm „Jules und Jim“ machte. Dessen Freund war er, bis er sich mit ihm während der Dreharbeiten zu „Fahrenheit 405“ aus ideologischen Gründen überwarf. Aber auch der große Stanley Kubrick, der ihn für „Clockwork Orange“ und „Barry Lyndon“ umwarb, hielt Werners Ansprüchen nicht stand. Was letztlich bedeutete, dass seine sanfte, leicht wienerisch gefärbte Stimme nur im Gedächtnis seiner Fans weiterlebte und er selbst immer einsamer wurde. Als Synchronsprecher und Rezitator blieb er störrisch und so emotional, wie man es in Zeiten des beginnenden Regietheaters der späten 70er gar nicht mehr sein durfte. Ein Schwieriger also! Selbst im Gespräch mit Degen will er immerzu provozieren. Wobei es den Leser wundert, wie verständnisvoll der damals zunehmend mit Preisen und Anerkennung bedachte Michael Degen, der mit Ingmar Bergman arbeitete und mit anderen Star-Regisseuren der westdeutschen Republik, mit seinem älteren Kollegen umging. Es trennte sie immerhin nur ein Altersunterschied von zehn Jahren. Oskar Werner war als Jugendlicher Soldat in der Wehrmacht gewesen – auch wenn er am Ende desertierte – und schwärmte für den dubiosen, dem Nazi-Regime restlos verfallenen Schauspieler Werner Krauß. Während der 1932 in Chemnitz geborene Degen seine Kindheit als Jude im Untergrund zubrachte und es – im Gegensatz zum Originalgenie Werner – nicht unbedingt leicht hatte, sich im Theaterbetrieb zu etablieren. Dennoch: Degen ist nicht nur Stichwortgeber in diesem bis in den Morgen dauernden Dialog, obgleich er zeitweise die Hand übers Glas legt und sich dem Alkohol verweigert. Bis zum Schluss bleibt er auf Augenhöhe mit seinem stetig betrunkener werdenden Gastgeber, dessen Geist und Eloquenz sich dabei nicht verringern. Tatsache ist: Die beiden Schauspieler haben sich danach nie wieder gesehen. Aber Degen hat mit seinem sehr subtil geschriebenen „Gesprächsprotokoll“ nicht nur einen intimen Blick in das Leben eines „Sorgenkind des Lebens“ gegeben, sondern auch in die deutsche Theatergeschichte. Lesezeichen Michael Degen: Der traurige Prinz. Roman einer wahren Begegnung. Rowohlt, 251 Seiten, 19.95 Euro.

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