Neustadt „Gaspreise nicht gottgegeben“

Beim Oberlandesgericht Zweibrücken ist noch immer die Frage anhängig, ob die Erhöhung der Neustadter Gaspreise zwischen 2005 und 2007 zulässig war. Die Kundin Colette Blasse hatte damals die höheren Preise nicht bezahlt, weil sie sie für unbegründet hielt. Als Grundversorgungskundin wurde sie weiterhin beliefert, aber gleichzeitig auch von den Stadtwerken auf Zahlung der Differenz zwischen dem jeweils alten und neuen Preis verklagt. Die Gaspreisinitiative Neustadt unterstützte sie. Das Landgericht Frankenthal gab den Stadtwerken in dem Musterprozess Recht. Seit 2009 läuft die Berufung. Die Zweibrücker Richter rügten bislang, dass die Stadtwerke in Frankenthal nur die Zahlen der eigenen Wirtschaftsprüfer vorgelegt hatten. Um eine Gaspreiserhöhung zu begründen, bedürfe es aber neutraler Sachverständiger. Gleichzeitig räumten die Richter den Stadtwerken aber eine Art Betriebsgeheimnis ein. Das Gutachten sollte nur in nichtöffentlicher Sitzung verlesen werden. 2011 wurde das Verfahren dann ausgesetzt, um Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs (BGH) abzuwarten. Die Europa-Richter in Luxemburg stellten sich 2014 hinter die Verbraucher und urteilten, dass Strom- und Gasanbieter jahrelang unzureichend über die Gründe für die Preiserhöhungen informiert hätten. Außerdem rügte das Gericht die Preisänderungsklauseln des deutschen Gesetzes als nicht transparent genug. Im Oktober 2015 folgerte der BGH in Karlsruhe daraus – weniger verbraucherfreundlich –, dass Gaspreiserhöhungen in der Grundversorgung trotzdem wirksam waren, wenn der Versorger allein die gestiegenen Einkaufspreise weitergegeben hat. Ob dies bei den Stadtwerken so war oder andere Gründe zu den Preiserhöhungen führten, wie zum Beispiel eine angestrebte Gewinnsteigerung, müssen die Zweibrücker Richter nun prüfen. Allerdings hat der Bund der Energieverbraucher gegen diese neuste BGH-Rechtsprechung Verfassungsbeschwerde eingelegt. Er wirft den Karlsruher Richtern vor, das Europarecht nicht konform umzusetzen. Laut Stadtwerke-Geschäftsführer Holger Mück hängen noch rund 30 weitere Verfahren an dem Musterprozess Blasse, die man bis zu einer Entscheidung habe ruhen lassen. Auf Nachfrage bestätigt er, dass man zum Teil auch Vergleiche mit Kunden geschlossen habe: „Die Frage, ob man einen Vergleich eingeht, stellt sich bei jedem Prozess.“ Im Detail will er sich aber nicht äußern, da es sich um ein laufendes Verfahren handele. Für Sondervertragskunden gelten bereits seit einem Urteil des BGH von 2013 höhere Hürden für Preiserhöhungen. Erfüllt diese der Versorger mit seinen Vertragsklauseln nicht, kann der Kunde bis zu drei Jahre rückwirkend Preiserhöhungen anfechten. Für ungültig erklärt wurden zum Beispiel Preisanpassungsklauseln, in denen es nur lapidar heißt: „Der Versorger ist berechtigt, die Preise anzupassen.“ Über allem thront nämlich der Grundsatz aus dem Energiewirtschaftsgesetz, dass der Verbraucher möglichst „billig und gerecht“ zu versorgen ist. Mathias Hauber, Rechtsanwalt aus Edenkoben, vertritt nach eigenen Angaben noch rund 30 Mandanten in Prozessen gegen die Stadtwerke Neustadt, 20 Verfahren seien mittlerweile beendet, in 40 weiteren Fällen führe er Verhandlungen für seine Mandanten. Er berichtet, dass die städtische Tochter mit einem neuen Vertragsangebot versucht habe, neue Sonderverträge für Gas mit einer gültigen Preisanpassungsklausel abzuschließen. Dafür habe es 30 Euro Bonus gegeben und eine Preissenkung von zwei Cent pro Kilowattstunde. Wer den Vertrag abgeschlossen habe, verzichte damit aber auf die Möglichkeit einer Rückforderung aus dem nicht verjährten Zeitraum seit 2012. Dabei könne es sich um Beträge zwischen 1000 und 2500 Euro handeln, bei gewerblichen Abnehmern noch höher. Torsten Hinkel, ebenfalls Stadtwerke-Geschäftsführer, bezeichnet es als völlig legitim, eine neue Rechtsprechung in die Verträge einzuarbeiten. So handele fast jedes Unternehmen. Von den 5000 Kunden mit einem Gas-Sondervertrag hätten 4000 das Angebot angenommen. Die übrigen 1000 Kunden müssten einen neuen Vertrag abschließen, um die beiden Preissenkungen vom 1. Oktober 2015 und zum 1. Februar 2016 (von insgesamt drei Prozent) zu erhalten. Den Bonus gebe es aber nicht mehr. Schließlich seien die Kunden zweimal angeschrieben worden. Beim Gas stehen den 10.000 Grundversorgungsverträgen in Neustadt 5000 Sonderkunden gegenüber. Bei Strom, wo schon deutlich länger durch die Liberalisierung mehr Wettbewerb herrscht, gibt es 10.000 grundversorgte und 20.000 Sonderkunden. Laut Rechtsanwalt Hauber fährt ein Kunde mit einem Sondervertrag immer besser. Er verweist auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Zweibrücken, dass schon ein Rabatt oder eine Einzugsermächtigung aus einem grundversorgten Kunden einen Sonderkunden mache. Für den Rechtsanwalt hat es einen einfachen Grund, warum die Stadtwerke ihre Sondertarife nicht aktiver bewerben. „Die teure Grundversorgung sichert höhere Konzessionsabgaben. Da die Stadt beziehungsweise die Tourist-, Kongress- und Saalbau GmbH Hauptgesellschafter ist, sollen dort möglichst viele Einnahmen aus der Konzessionsabgabe fließen.“ Dies sei aber ungerecht, weil allein Strom- und Gaskunden damit das Stadionbad oder die Tourismusförderung quer subventionieren würden. Wer eine Ölheizung habe, bleibe außen vor. Haubers Rat an Kunden, die sich wehren wollen: Einspruch erheben oder sich einen fairen Versorger suchen. Er persönlich und auch seine Mandanten hätten sehr gute Erfahrungen gemacht mit den Stadtwerken Speyer, der Maingau Energie und der Bodensee Energie: „Das sind auch alles kommunale Versorger, die aber mit ihren Kunden einfach transparenter umgehen.“ Viel zu viele Kunden würden immer noch die Chancen der Liberalisierung am Energiemarkt nicht nutzen und eine Rechnung des Gas- oder Stromversorgers als gottgegeben ansehen. Kommentar

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