Neustadt Die Gedanken bleiben frei

Als die Genossen 1882 – zum 50. Jahrestag des Hambacher Fests – auf dem Schloss eine rote Fahne hissen wollten, wurden sie von der Polizei verhaftet. Als der SPD-Ortsverein Neustadt jetzt ein Festzelt auf dem Hetzelplatz aufbaute und seine Fahne aufzog, half ihm der städtische Bauhof. Was zeigt: Manches hat sich verändert, seit der Ortsverein aus der Taufe gehoben wurde. Ein Geburtstag, der sich anno 2015 zum 140. Mal jährt und der am Samstag offiziell gefeiert wurde.

Was wäre eine solche Feier ohne Anekdoten? So manche davon wissen altgediente Genossinnen und Genossen zu erzählen. Wie der frühere Landtagsabgeordnete Klaus-Jürgen Lais. Über Willy Brandt zum Beispiel. Viele sind wegen ihm in die Partei eingetreten, die wenigsten dürften aber wissen, dass er 1972 beim großen Pfalztreffen in Neustadt bei der „Mohre Jule“ die Tücken eines Pfälzer Schoppens kennengelernt hat. Später, bei seiner Rede auf dem Marktplatz, musste sich Brandt leicht am Stehpult festhalten, wie Lais mit einem Schmunzeln im Gesicht berichtet. Zu der SPD-Zeitzeugen-Runde im Festzelt gehören auch Ida Müller und Wolfgang Ressmann. „Ich stamme aus Haßloch, und dort waren alle in der SPD ...“, erzählt die altgediente Genossin, warum sie der Partei beigetreten war. Und natürlich wegen Willy. An die Friedensbewegung der 1980er Jahre erinnert sich Ressmann besonders gern, an das „Fest für den Frieden“ mit Oskar Lafontaine 1985 auf der Festwiese: „Viele junge Leute sind damals in die Politik gegangen, das war toll.“ Heute hingegen ist der Nachwuchs dünn gesät. 114 Mitglieder, keine Jusos, berichtet Andreas Böhringer, der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Neustadt, in seiner Festrede. 406 waren es noch vor 87 Jahren, als die Frauengruppe gegründet wurde und Selma Mayer in den Vorstand einzog. An den Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität habe sich aber nichts geändert, sagt Ministerpräsidentin Malu Dreyer später. Sie seien „Wurzeln, die das heutige Handeln als Wertegerüst leiten“. Das heutige Handeln: So manches Neustadter Thema aus längst vergangener Zeit ist nach wie vor aktuell. Dafür gibt Böhringer Beispiele: die Diskussion um ein Parkhaus, der Wunsch nach einer Hochschule, Bürgernähe bei der Verkehrsplanung. Konfliktscheu sei die SPD damals wie heute nicht gewesen, „auch intern nicht“. Wobei auch innerhalb des SPD-Ortsvereins seit Langem über die selben Dinge diskutiert wird, wie der Historiker Gerhard Wunder unter anderem zutage gefördert hat. So wurde bereits 1920 „das Fehlen einer Jugendorganisation, die Teilnahmslosigkeit der Arbeiterschaft und die Öde in der Parteikasse“ bedauert. Der Feierlaune auf dem Hetzelplatz schadet das am Samstag nicht. Während draußen die jüngsten Gäste die Hüpfburg erobern, geben sich im Zelt auch Vertreter von CDU, FWG und Grünen sozusagen die Klinke in die Hand. Viele sind gekommen und zeitweise herrscht sogar der Eindruck vor, die Anzahl der CDU-Mitglieder übertrifft jene der SPD. Auch der Stadtvorstand ist fast geschlossen da. Und keine Frage, dass die meisten parteiübergreifend mitsingen, als Liedermacher Uli Valnion den Klassiker „Die Gedanken sind frei“ anstimmt. Das ist auch ganz im Sinn von Böhringer: Das Fest sei keine Wahlkampfveranstaltung wenige Monate vor der Landtagswahl, unterstreicht der SPD-Chef. Zwar werde der Ortsverein Malu Dreyer uneingeschränkt unterstützen, „aber das hier ist heute ein stolzer Geburtstag, weiter und größer als solch ein Einzelereignis“. Keine Jubiläumsfeier ohne Dank an treue Mitglieder. Von Malu Dreyer mit einer Urkunde geehrt werden am Ende des offiziellen Teils: Ludwig Traub und Dieter Schnädelbach für 50 Jahre Mitgliedschaft, Hans Georg Stehlin, Wolfgang Ressmann und Adolf Erbenich für 40 Jahre sowie Ulrike Behrens, Michael Bub und Heddi Seitz für 25 Jahre. (ahb)

x