Neustadt Der ganze Bach

Neustadt. Das komplette Orgelwerk Johann Sebastian Bachs von den frühen, aber schon erstaunlich reifen Kompositionen des „Teenagers“ bis zu den späten Meisterwerken hat sich der Neustadter Bezirkskantor Simon Reichert in diesem Jahr vorgenommen. 19 Konzerte in sieben verschiedenen Kirchen der Region erwarten die Musikfreunde – davon jeweils fünf in der protestantischen Kirche in Haardt, der Christuskirche in Haßloch und der katholischen Kirche in Kirrweiler. Los geht es am 21. Februar in Haardt.

Reichert, der mit seinen gerade einmal 34 Jahren bereits ein weithin anerkannter und mehrfach ausgezeichneter Organist ist, wird Bachs Werke für Orgel (bzw. Tasteninstrumente, denn eine Abgrenzung zu Klavier und Cembalo ist oft nicht möglich) in weitgehend chronologischer Reihenfolge spielen, so dass sich die stilistische Entwicklung des Komponisten wirklich nachvollziehen lässt und neben den Meisterwerken auch kleinere, unbekanntere Stücke zur Geltung kommen. Der Bezirkskantor erhebt dabei den Anspruch, auch die Erkenntnisse der neueren Bach-Forschung, allen voran die seines Basler Lehrers Jean-Claude Zehnder, in die Interpretation einfließen zu lassen. So liest sich schon das Programmheft wie ein kleines Standardwerk, bei dem alle wichtigen Entwicklungsschritte Bachs, etwa die Reise nach Lübeck 1705/06 oder die das gesamte spätere Werk prägende Begegnung mit der Musik Vivaldis 1714/15, in der Werkfolge transparent werden. Zum Prinzip der Reihe gehört dabei, dass die Kompositionen jeweils auf Orgeln der Region vorgestellt werden sollen, die für sie besonders passend erscheinen, das heißt, dem mutmaßlich authentischen Klangbild der Bach-Zeit am nächsten kommen. So hat Reichert für die kleineren, frühen Orgelwerke, die die Reihe mit vier Konzerten im Februar und März eröffnen, die 1785 erbaute, 1985 restaurierte und 2013 um das noch fehlende Posaunenbass-Register ergänzte Stumm-Orgel in Haardt ausgewählt. Die monumentalen Werke wie die Triosonaten oder die d-Moll-Toccata werden dagegen auf der Hartung-Winterhalter-Orgel in Haßloch und der Mahler-Seuffert-Orgel in Kirrweiler erklingen, die beide spätbarocke bzw. frühklassische Ursprünge haben, inwendig aber weitgehend moderne Instrumente sind. Die prominenteste und am besten erhaltene Barockorgel der Region, die 1777 erbaute Geib-Orgel in Lambrecht, komme dagegen nur einmal zum Einsatz, weil sie mit nur einem Pedal und anderthalb Oktaven zu viele Einschränkungen verlange, so Reichert. Ebenfalls je einmal bespielt werden die Geib-Orgeln in Assenheim und Altdorf und die erst 2014 von dem Elsässer Rémy Mahler restaurierte Seuffert-Orgel in der Marienkapelle in Kirrweiler. Eines der Ziele, das Reichert mit dem Bach-Zyklus verfolgt, ist es, Geld für die neue Chororgel der Neustadter Stiftskirche zusammenzubringen, mit deren Bau der renommierte niederländisch-schweizerische Orgelbauer Bernhardt H. Edskes dieser Tage beginnen soll. Das Instrument mit zwei Manualen und 20 Registern, das ein barockes Klangbild in der Tradition des stilbildenden Orgelbauers Arp Schnitger (1648-1719) bieten wird, soll rund 450.000 Euro kosten und bis Herbst in der Stiftskirche aufgebaut sein. Da auch die Intonation noch einige Monate in Anspruch nehmen dürfte, hält Reichert Ostern 2016 für realistisch als Einweihungstermin. Derzeit ist die Hauptkirche Neustadts seit dem Abbau der maroden Oberlinger-Orgel gänzlich ohne Instrument. Dass bei den Benefizkonzerten Riesensummen zusammenkommen, erwartet Reichert indes nicht. Es gehe ihm auch mehr darum, allgemein Werbung für die Orgelmusik zu machen. Durch die Orgelpfeifen-Stifter-Aktion seien bereits über 40.000 Euro gesammelt worden. Ein wenig Sorgen bereitet ihm derzeit aber, dass die Schweizer Zentralbank die Euro-Bindung des Franken aufgegeben hat, wodurch sich der Preis für das Instrument noch erhöhen könnte. Wenn die Chororgel 2016 ihren Standort am vordersten nördlichen Arkadenbogen des protestantischen Teils der Stiftskirche gefunden hat, will Reichert übrigens gleich das nächste Projekt anschieben: eine große romantisch-sinfonisch ausgerichtete Orgel für die Empore der Stiftskirche.

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