Neustadt Das Leben als lange Pilgerreise

Neustadt-Mussbach. „Bunt, wild, roh, amüsant, verliebt und verlumpt“ sei „Der abenteuerliche Simplicissimus“, schrieb einst Thomas Mann. Das Herxheimer Chawwerusch-Theater hat die pralle 800-seitige barocke Vorlage in ein gut zweistündiges Bühnenstück mit modernen Anklängen verdichtet. Die Aufführung am Samstagabend im Herrenhof Mußbach verlangte den drei Darstellern mit dem ständigen Wechsel in immer neue Rollen eine Höchstleistung ab. Chapeau!

Der Clou: Die Akteure Felix S. Felix, Ben Hergl und Thomas Kölsch verkörpern nicht nur unzählige Charaktere im Wandel der Zeit, sondern auch noch den Simplicius selbst. Und zwar abwechselnd, zu zweit oder auch mal zu dritt zusammen. Auf diese Weise wird die durch Lebens- und Todeswirren permanent gebeutelte Hauptfigur, die Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen vor über 350 Jahren schuf, wahrlich zu einer Allegorie auf den Jedermann. Auf den Menschen, der in heiliger Einfalt mehr durchs Leben stolpert, als es selbst aktiv zu gestalten. Und der am Ende dank seiner Schelmenhaftigkeit und seines unbändigen Lebenswillens immer wieder auf wundersame Weise glücklich davonkommt. Das Stück hält die rettende Handlungsmaxime dafür bereit: „Erkenne Dich selbst, meide böse Gesellschaft und bleibe immer den Menschen ein Mensch.“ Die Geschichte, die der erste deutschsprachige Abenteuerroman erzählt, ist ungeheuer wendungsreich und wird auf der Bühne in verkürzter, aber dennoch signifikanter Form nachvollzogen: Simplicius wächst auf einem Bauernhof bei „Knan und Meuder“ auf, landet durch Krieg und Plünderung bei einem Eremiten im Wald und kann sich am Ende den Wirren des 30-jährigen Krieges doch nicht entziehen. Ob er will oder nicht, er landet immer wieder in misslicher Lage und muss vielen Herren dienen, gibt an einem Hof sogar den Narren. Immer wieder begegnet er seinem „Herzbruder“ und seinem Widersacher Olivier, er gewinnt Geld, verliert es wieder, wird durch eine List verheiratet, erlebt amouröse Abenteuer, findet Zuflucht im Kloster, landet auf Schlachtfeldern und findet sich am Ende auf einer einsamen Insel wieder, wo er, weise geworden, seine Lebensgeschichte aufschreibt. Typisch Chawwerusch, wie das alles unter der Regie von Walter Menzlaw mit minimalem Aufwand an Requisite und Bühnenbild inszeniert und immer wieder in mehrstimmigen Songs zu exotischen Instrumenten wie Shrutibox und Drehleier ironisch gebrochen wird. Der Humor kommt in dieser ernsten und klugen Inszenierung allerdings ein bisschen zu kurz, sind es doch in erster Linie Szenen von Krieg und Gewalt, die dem Zuschauer in einem nicht enden wollenden Reigen des Grauens vorgeführt werden. Anklänge zu den Weltkriegen, zu Hiroshima, Syrien, Irak und Afghanistan inklusive. Das ist keine ganz leichte Kost, und besonders im zweiten Teil wird die Geschichte als die ewige Wiederholung des Gleichen doch etwas ermüdend. Auch, weil bedingt durch die Episodenhaftigkeit der Vorlage ein klarer Spannungsbogen fehlt. Hier hätte ein wenig mehr Straffung der Inszenierung gut getan. Aber das ist dann auch das einzige, was man meckern kann. „Das Leben ist eine lange Pilgerreise, erst am Ende bist du weise“, heißt es im Stück. Und wahrlich: Als Einfaltspinsel, als „Simplicius“, kommen wir alle in die Welt und kennen anfangs wie die Hauptfigur noch nicht einmal unseren Namen. Um es existenzialistisch auszudrücken: Wir sind geworfen in ein Weltgetriebe, dem wir am Ende auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Aber ist das die ganze Wahrheit? Während sich der Titelheld im barocken Roman am Ende ganz dem Weltgericht überantwortet, sind die Theaterleute von „Chawwerusch“ in der letzten Szene sicher: „Es gibt kein Weltgericht!“ Damit geben sie dem modernen Publikum die Verantwortung fürs eigene Leben zurück und entlassen es wie weiland Bertolt Brecht in seinem epischen Theater mit der ebenso bohrenden wie aktuellen Frage, ob denn der immerwährende Krieg wirklich der unveränderliche Lauf der Welten sein muss. Oder, wie es eine der zahllosen Soldaten auf der Bühne ausdrückt: „Ja, vor unserer Haustür, da wollen wir Frieden. Aber woanders kann ruhig der Krieg toben. Er ist gut fürs Geschäft. Und man ergötzt sich von Ferne am Krieg wie an der Kirmes…“ wahrhaft ein Schelm, wer da an aktuelle Kriegsschauplätze denkt.

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