Neustadt Das Geißbock-Brauchtum muss Live-Erlebnis bleiben

Geduldig und nicht mehr störrisch: Der 611. Tributbock Helmut war nicht mehr wiederzuerkennen, als er am Sonntagabend beim Lambrechter Heimatabend dem jüngst vermählten Brautpaar Cathrin und Daniel Schulte anvertraut wurde. Das Paar geleitet Helmut, jetzt Tributbock Daniel genannt, beim heutigen Geißbockmarsch ab 5.30 Uhr vom Friedrich-Ebert-Platz nach Deidesheim zur Versteigerung.

Tributbock Daniel war, nicht wie unlängst bei seiner Vorstellung, unartig. Der stattliche Prachtkerl ließ die lange Übergabezeremonie geduldig über sich ergehen: Fest im Griff von Lambrechts Seniorbüttel Karl Sauer. Dass das Deidesheimer Stadtgericht wahrscheinlich nichts am Ziegenbock Daniel zu meckern hat, davon überzeugten sich augenscheinlich der Auktionator Werner Leim und Stadtrat Kurt Wilhelm im Beisein von Deidesheims Stadtbürgermeister Manfred Dörr. Dieser dankte zusammen mit der Beigeordneten Renate Klingelmann den Lambrechtern für die Pflege der Geißbocktradition, die durch die Weinprinzessin der Verbandsgemeinde Deidesheim, Kristin Otte, nun auch in Neuseeland bekannt ist (wir haben darüber am Samstag berichtet). Für Lambrechts Stadtbürgermeister Michael Stöhr war es nach runden 20 Jahren im Amt die letzte Geißbockzeremonie. Symbolisch übergab er die Traditionspflege seinem Nachfolger, dem am Sonntag neu gewählten Stadtbürgermeister Karl-Günter Müller (FWG), genannt „Charles“ (siehe Bericht oben). Stöhr appellierte, das Brauchtum live auf den Bühnen der Partnerstädte zu erhalten und nicht etwa per „Public Viewing“ auf einer großen Leinwand fünf Minuten vor der Versteigerung zu präsentieren. Den Geißbock liefert Lambrecht nach einem jahrhundertealten Brauch für die einstige Nutzung von Weiderechten im Deidesheimer Hinterwald. Die Stadtkapelle Lambrecht stimmte die Besucher des Heimatabends ein. Die Theatergruppe des Lambrechter Verkehrsvereins führte danach eine Szene aus dem Volksstück „Der Prozess“ auf. Das Stück hat Luitpold Seelmann geschrieben über eine 1856 stattgefundene Gerichtsverhandlung in Deidesheim. Angeklagt waren die Stadtväter von damals St. Lambrecht-Grevenhausen, 1851 einen Tritbutbock ohne die nötigen Attribute zur Nachzucht geliefert zu haben, ihn nicht vom jüngsten Bürger zu Fuß, sondern von Gimmeldingen aus mit einer Schubkarre gefahren und zu spät nach 10 Uhr an Deidesheims Stadtgrenze übergeben zu haben. Das salomonische Urteil, weil kein böser Wille erkennbar war, nahmen die Herren von Lambrecht und Deidesheim schließlich an. Und die Lambrechter erfüllten auch die Auflage des Gerichts, sieben in den Jahren zuvor ausgefallene Böcke nachzuliefern. (awk)

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