Neustadt Bezirkskantor Simon Reichert: Buxtehude-Konzert und Kulturpreis-Träger

In der Stiftskirche in Neustadt Simon Reichert spielt Dieterich Buxtehude.
In der Stiftskirche in Neustadt Simon Reichert spielt Dieterich Buxtehude.

Mit dem letzten von zehn Konzerten Folge krönte Bezirkskantor Simon Reichert seinen Buxtehude-Zyklus. Der Stadtverband Neustadt würdigte sein nachhaltiges Wirken mit dem Kulturpreis 2023.

Gesamteinspielungen aller möglichen Gattungen und aller möglichen Komponisten zu Studiobedingungen existieren quasi zuhauf. Kompakte Pakete solcher Art live auf die Bühne zustellen, ist schon wesentlich diffiziler. Das braucht zunächst Planung; die Strategie, von Präsentation zu Präsentation immer aufs Neue kleine Sensationen anbieten zu können; damit das Publikum bleibt. Und Orgelkonzerte – auch wenn wie diesmal aufgelockert durch den Wechsel aufs Cembalo – sind nun nicht gerade der Brüller im Konzertbetrieb. Schließlich Dieterich Buxtehude – den kennt nicht jeder.

Dabei hat Buxtehude (1637 bis 1707), Sohn eines deutschen Kirchenmusikers und einer Dänin, ein ebenso faszinierend vielschichtiges, hochartifizielles und vor allem für die nachgeborene Meister wie Bach, Telemann und Händel unverzichtbar wegbereitendes Werk, gerade für Orgel und weitere Tasteninstrumente hinterlassen. Reichert unterfütterte seinen ambitionierten Zyklus bei allen Stationen mit einem lesenswerten Booklet und kleinen Einführungsvorträgen. Sie würdigte diesen fantastischen Tondichter, dessen Strahlkraft von seiner letzten Wirkungsstätte, der Marienkirche in Lübeck in die Welt und in die Zukunft strahlte, von Konzert zu Konzert, die sämtlich erstklassig besucht waren.

Hochmoderne Kompositionen

Der Ausklang war dem Spätwerk und einer Reihe zu ihrer Zeit hochmoderner Kompositionen vorbehalten, die bereits die Ablösung der gebräuchlichen mitteltönigen zugunsten der temperierten Stimmung integrierten. Und nicht zum ersten Mal bewährte sich Reicherts Talent für dramaturgische Stringenz. Denn die Abfolge von virtuoser Frische (A-Dur-Präludium, BuxWV 151), geradezu eleganten Suiten nebst Toccata G-Dur (BuxWV 165) – am Cembalo interpretiert – dem stillen Choral „Vater unser, im Himmelreich“ und den opulent ausschweifenden Choralfantasien „Nun freut euch, liebe Christeng“mein“ und „Te Deum laudamus“ garantierte funkelnde Spannung. Den Abschluss markierte ein rechter „Zeitgeist-Hit“: Mit dem Präludium in der relativ sperrigen Tonart Fis-Dur (sechs Kreuze) forschte Buxtehude in einem faszinierend dichten Konvolut fast lüstern nach der Verlockung der neuartigen Tonskala und den sich damit öffnenden kompositorischen Himmel.

Charakterlich übersetzte die Edskes-Chororgel der Stiftskirche mit ihrem dem norddeutschen Arp-Schnitger-Ideal folgenden Klanggewand die Epik Buxtehude quasi eins zu eins. Vor allem aber saß da ein Meister auf der Bank, dessen technische Eloquenz und brillante Flammenwürfe nur noch durch sein virtuoses Handling mit der Farbpalette seines Instruments übertroffen werden konnte. Reicherts Spiel war in jedem Moment berauschend präsent, fordernd; und gleichzeitig überaus geschmackvoll und in den Mitteln der agogischen Ausdeutung streng am theologischen Kern der jeweiligen Komposition orientiert. Er bot Momente wie ein Bühnengestalter, der seine perfekte Kulisse zu vitalem Leben zu erwecken vermag. Faszinierend und bis ganz dicht unter die Haut.

Einstieg in Fundraising-Kampagne für Orgel

Ein prachtvoller Einstieg obendrein in die Fundraising-Kampagne zugunsten einer Konzert-Orgel auf der Westempore, denn die Erlöse aus dem Zyklus sollen vor allem diesem Großprojekt zum Start verhelfen.

Simon Reichert (links) und Pascal Bender.
Simon Reichert (links) und Pascal Bender.

Zur Sache

„Ich sehe die Auszeichnung als Ansporn“, sagte Simon Reichert mit Blick in die Leere auf der Empore, die künftig mit einer großen Hauptorgel bestückt werden soll. Im Rahmen einer Feierstunde wurde am Samstag dem Bezirkskantor, Organisten, Festivalleiter, Chorleiter und Musikpädagogen in seiner Hauptwirkungsstätte, der Stiftskirche Neustadt, vom Stadtverband für Kultur der Kulturpreis der Stadt Neustadt 2023 verliehen. Noch nie zuvor in der Geschichte der Neustadter Kulturpreisverleihung gab es einen so jungen Preisträger.

Und noch nie gab es einen, der die musikalische Umrahmung des Zeremoniells mit Unterstützung des von ihm gegründeten und geleiteten Neustadter Vokalensembles und Fritz Burkhardt an der Geige persönlich übernahm. Letzterer, in der Szene ebenfalls bekannt als unermüdlicher Mitstreiter in Sachen „Alte Musik in Neustadt“, war es auch, der eine sehr persönliche Laudatio auf seinen langjährigen Freund und Musizierpartner hielt. Dessen Begeisterungsfähigkeit, Vielfalt, permanente Neugierde auf Neues und Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Musikern prädestiniere ihn als „würdigen Preisträger 2023“. „Simon kennt keine Konkurrenten, er kennt nur Mitstreiter. Mit seiner Begeisterungsfähigkeit und seinem unerschütterlichen Optimismus bringt er Menschen zusammen und stellt mit ihnen gemeinsam Dinge auf die Beine“, so Burkhardt.

„Für die Kultur unserer Stadt verdient gemacht“

Unter der bewährten Moderation von Michael Landgraf, letztjähriger Kulturpreisträger, erlebten die vielen Fans von Reichert eine von Talkrunden, Interviews und hochkarätigen musikalischen Beiträgen begleitete kurzweilige Feierstunde. Als einen „Künstler, der sich mit seinem musikalischen Engagement und seinen vielfältigen Ideen und Projekte in unnachahmlicher Weise für die Kultur unserer Stadt verdient gemacht hat“, würdigte Pascal Bender, Vorsitzender des Stadtverbandes für Kultur, den Preisträger. „Der Preis ist die Verpflichtung für dich, mit uns gemeinsam alt zu werden“, bemerkte augenzwinkernd Oberbürgermeister und Kulturdezernent Marc Weigel – und outete sich gleichfalls als großer Fan des Musikers, auch wenn es für ihn zuweilen „Stress“ bedeute, „mit diesem absoluten Geschenk für die Stadt Neustadt Schritt zu halten“.

Reichert, der tags zuvor seine Buxtehude-Reihe erfolgreich zu Ende gebracht hatte (siehe links), dankte mit seiner ehrenamtlichen Sekretärin Dorotheas Schreiber und Reinhild Müller-Hasse, langjähriger Vorsitzenden des Vereins „Stiftskantorei Neustadt“, zwei Wegbegleiterinnen, die ihn über all die Jahre seines Wirkens in Neustadt unterstützt haben.

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