Neustadt Bekanntes und Unbekanntes

Neustadt-Hambach. „Mozart geht immer“, lautet ein ehernes Gesetz des Klassikbetriebs, das sich bei der gut besuchten sonntäglichen Matinee des Hambacher Musikfests im Weingut Müller-Kern einmal mehr bewahrheitet hat. Dass man aber auch mit unbekannten Komponisten ein volles Haus haben kann, bewies das Nachmittagskonzert im Weingut Naegele tags zuvor.

Dupuy, Onslow, Roussel, Staellert, Thieriot – schon mal gehört? „In Neustadt geht das“, antwortete Jörg Sebastian Schmidt auf die Frage eines weit angerückten Musikjournalisten, wie man mit lauter unbekannten Komponisten so viele Leute ins Konzert locken kann. „À la française“ lautet das Motto, und Edouard Dupuy, ein Zeitgenosse Beethovens, macht den Anfang. Er entpuppt sich als ein frecher Bursche. Als skandalumwitterte Figur des Musiklebens am schwedischen Hofe hat er keine Angst vor großen Tönen – und so bietet sein Fagottquintett Frank Forst freie Entfaltungsmöglichkeiten. An der Seite des „Mandelring Quartetts“ jagt der Solist eine Rakete nach der anderen in die Höhe und liefert den Beweis, dass das Fagott in Sachen „Beweglichkeit“ Oboe oder Klarinette nicht nachsteht. Immerhin kennen wir Georges Onslow. Aber nur weil Vater Jörg Sebastian Schmidt während seiner Pariser Studienjahre in einem Antiquariat Noten des von Schumann hochgeschätzten Franzosen ausgegraben und dem „Mandelring Quartett“ zur Verfügung gestellt zu haben. In Onslows Streichquartett g-Moll op.9/1 ragen vor allem die an Haydns Kaiserquartett orientierten Variationen über „God save the Queen“ hervor. Besonders beeindruckend das geradezu artistisch anmutende Violinsolo von Primarius Sebastian Schmidt, das fast zur Parodie auf den damaligen Virtuosenkult gerät. Er lacht gerne und ist der große Sympathieträger des Hambacher Musikfestes. Richtig lustig zu geht’s im Duo für Fagott und Kontrabass, wenn Jon Diven an der Seite von Forst den großen Solisten mimt und seinen Kontrabass mit Glissandi, Pizzicati, Flageoletts und großen Sprünge traktiert – als Begleitmusik zu einer Comic-Szene könnte sich das Duo von Albert Roussel (1869-1937) wunderbar eignen, empfindet das immer wieder zum Schmunzeln animierte Publikum. Auch den Namen Alphonse Staellert (1920–1995) sucht man im Lexikon vergebens. Dafür erweist sich sein Saxophonquintett mit der klangschön aufspielenden Amy Dickson als die wohl interessanteste Entdeckung des gesamten Festivals. Im Intermezzo zelebriert die Solistin einen unendlich warmen und melancholischen Sound. Zur wilden Jagd zwischen „Mandelring Quartett“ und Solopart gerät das Scherzo, zum hochdramatischen Psychogramm das Finale. Eine Wahnsinnsmusik! Fröhlich und verspielt, unbekümmert und voller Lebensfreude schließlich der Abschluss: Mit seiner Serenade B-Dur für Bläserquintett hat Ferdinand Thieriot (1838–1919) eine ideale Freiluftmusik komponiert. Dass der seinerzeit berühmte und neben Brahms wichtigste musikalische Sohn der Stadt Hamburg zwischenzeitlich völlig in Vergessenheit geraten ist, liegt an dem Umstand, dass sein Notennachlass während des Zweiten Weltkriegs von der Roten Armee beschlagnahmt und erst 1991 wieder zurückgegeben wurde. Vivat Bacchus! Dass Mozart immer einen guten Tropfen zu schätzen wusste, ist allgemein bekannt. Vater Leopold zum Beispiel warnt ihn:. „Nur bitte ich, mein lieber Wolfgang, keine Exceß zu machen. Die starken Weine, und vieles Weintrincken ist schädlich“. Dass der Pfälzer Riesling und die Mozart’schen Klänge gut zusammen passen, zeigte die Sonntagmatinee im Weingut Müller-Kern, angefangen mit dem Streichquartett A-Dur KV 464, das einen der schönsten und elegantesten Variationssätze der Musikgeschichte enthält und aufgrund des perkussiven Begleitrhythmus in der sechsten Variation auch als „Paukenquartett“ bekannt ist. Höchste Virtuosität verlangt das Oboenquartett F-Dur KV 370 dem Solisten ab. Amy Dicksons Wiedergabe des Arrangements für Sopran-Saxophon und Streicher erstaunt das Publikum. Wann und wo holt diese zierliche Frau ihren unendlichen Atem her? Elegant und scheinbar völlig mühelos bewältigt sie gleichermaßen gewaltige Tonlawinen wie weitschwingende Kantilenen. Mit der Harmoniemusik zu „Cosi fan tutte“ bringen Wally Hase (Flöte), Nick Deutsch (Oboe), Thorsten Johanns (Klarinette), Jörg Brückner (Horn) und Frank Forst (Fagott) die Oper ins Weingut. Und zum Abschluss geben das „Mandelring Quartett“ und Jon Diven den Ohrwurm „Eine kleine Nachtmusik“. Auch wenn eine Serenade nicht so recht zu einer Matinee passen will, lehnt man sich entspannt zurück und genießt den Inbegriff Mozart’scher Kunst. (mp)

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