Ludwigshafen Wie wird die Welt 2045 aussehen?

Arbeitet grundsätzlich mit Laien: Theaterregisseurin Edit Kaldor in Mannheim.
Arbeitet grundsätzlich mit Laien: Theaterregisseurin Edit Kaldor in Mannheim.

Eine einzigartige Stimme in der gegenwärtigen Theaterlandschaft: Dieser Ruf eilt der Regisseurin Edit Kaldor voraus. Am Nationaltheater wird von ihr nun „Das Mannheim Experiment“ mit der Bürgerbühne zu sehen sein. Die ungarisch-amerikanische, in Amsterdam lebende Regisseurin arbeitet ausschließlich mit Laien. In Mannheim bringt sie Kinder und Jugendliche auf die Bühne in einem Stück über die Zukunft der Menschheit, das sich an Erwachsene richtet.

Vor einem Jahr haben auf dem Festival „Schwindelfrei“ in Mannheim Künstlergruppen aus aller Welt ihre Ansichten, wie die Welt wohl in 50 Jahren aussehen mag, vorgestellt. Es gab traumhaft paradiesische Darbietungen von grünen Wäldern und Auen, aber auch solche von einer kalten technisierten, von Robotermenschen beherrschten Welt. Edit Kaldors „Mannheim Experiment“ hätte gut in dieses Festivalprogramm gepasst, denn auch sie versucht ein Zukunftsbild zu entwerfen. Die 46-jährige Regisseurin blickt ins Jahr 2045, dass die Welt dann anheimelnder geworden sein könnte, scheint sie nicht zu glauben. Das Jahr 2045 ist nicht zufällig gewählt. Es ist 28 Jahre von der Gegenwart entfernt, so weit wie das Epochenjahr 1989 vom Jahr 2017. Damals vor 28 Jahren ergriff mit dem Mauerfall und dem Ende des Kalten Krieges ein Freudentaumel die Menschen, die eine friedliche Zukunft in allgemeiner Freiheit erwarteten. Inzwischen ist der Rausch Ernüchterung gewichen. In „Mannheim Experiment“ geht es der gebürtigen Ungarin Edit Kaldor nun aber weniger um Politik als um die Umweltzerstörung und die mit dieser einhergehende Technisierung der Welt. Vor ein paar Jahren, erzählt sie, hätten ihren damals noch nicht schulreifen Sohn Alpträume von einer Welt ohne Tiere und Pflanzen heimgesucht. Nun bringt die Regisseurin sieben Mannheimer Kinder und Jugendliche im Alter zwischen neun und 15 Jahren auf die Bühne, die in der Aufführung mit dem erwachsenen Publikum ins Gespräch kommen sollen. Wie wird das Leben der Kinder aussehen, wenn sie selbst erwachsen sein werden? Wie hat das Leben der jetzt Erwachsenen vor 28 Jahren ausgesehen? Von dieser Begegnung der Generationen verspricht sich die Regisseurin, dass ein konkretes Bild von der Zukunft entsteht. „Wir alle kennen die Gefahr, aber sie geht nicht unter die Haut“, sagt Edit Kaldor. Die rasante Naturzerstörung übersteigt die gewöhnliche Vorstellungskraft. Wenn sich eine Bepflanzung jedes Jahr verdoppelt und in hundert Jahren ein Fußballfeld überwuchert hat, wann ist die Hälfte des Fußballfeldes bedeckt, stellt sie eine beliebte Fangfrage, um exponentielles Wachstum anschaulich zu machen. Antwort: In 99 Jahren. Mit anderen Worten: Es ist später als fünf vor zwölf. Beim Klimawandel sei der Zeitpunkt einer Umkehr und Besinnung schon verpasst, betont die Regisseurin. Und dass der neue amerikanische Präsident Donald Trump sich aus dem Pariser Weltklimavertrag wieder zurückgezogen und die besorgniserregende Klimaerwärmung zum „Fake“ erklärt hat, erscheint ihr absurd. „Es wird eine radikal andere Welt“, soviel weiß Edit Kaldor. Mit „Mannheim Experiment“ versucht sie, diese vage Vorstellung zu konkretisieren und die Generationen über die Zukunft ins Gespräch zu bringen. Für die Aufführung habe sie den Kindern einen groben Rahmen vorgegeben, sagt die Regisseurin. Ihren Darstellern bleibe ein Freiraum der Improvisation. Jede Vorstellung wird also ein wenig anders ausfallen. Mit solchen Denkanstößen durch experimentelle Theateraufführungen, wie sie vom „Mannheim Experiment“ ausgehen sollen, hat Edit Kaldor sich international einen Namen gemacht. Ihr eilt der Ruf voraus, dass sie die Grenzen des konventionellen Theaters sprengt. So arbeitet sie ausschließlich mit Laien. „Die Aufführungen werden angreifbarer, transparenter“, sagt sie. Sie liebe es geradezu, wenn das Publikum sich in dem Glauben wiege: „Das könnte ich auch.“ Edit Kaldors Themen sind Kommunikation und digitale Medien. In New York arbeitete sie mit dem inzwischen verstorbenen, ebenfalls aus Ungarn stammenden Avantgarde- und Videokünstler Peter Halasz zusammen. Inzwischen lebt sie seit 17 Jahren in Amsterdam und führt ihre Stücke überall auf der Welt auf. Ihr erstes eigenes war 2003 „Or Press Escape“, ein Solostück, in dem sie an einem Laptop mit dem Rücken zum Publikum saß. Für „Inventory of Powerlessness“ (Inventar der Ohnmacht) zog sie drei Jahre lang von Stadt zu Stadt quer durch Europa und dirigierte dabei insgesamt 500 Laien. In Deutschland war sie unter anderem 2012 bei der Neueröffnung des Berliner Hebbel am Ufer (HAU) mit ihrer Produktion „C’est du chinois“ zu Gast. Termine Uraufführung am Samstag, 20. Mai, 20 Uhr, im Studio Werkhaus des Mannheimer Nationaltheaters. Weitere Vorstellung am 24. Mai um 20 Uhr.

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