Ludwigshafen „Wenn ein Mann weint, zeigt er Stärke“

Andreas Bourani startet gerade durch. Der 31-jährige Augsburger landete mit seinem Nummer-eins-Hit „Auf uns“ die WM-Hymne des vergangenen Jahren. Aber eigentlich macht er mit seiner Vier-Oktaven-Stimme aus fast jedem Song eine Hymne. Im Interview erklärt der Sänger, warum ihm Gefühle so wichtig sind, was ihn an der Popmusik reizt und wie er über den häufig gezogenen Vergleich mit Xavier Naidoo denkt.

Andreas Bourani, warum ist Ihre Musik so gefühlvoll?

Das ergibt sich aus dem Anspruch, die ich an Musik und Texte habe. Auch brachte die Zeit, in der die Platte entstanden ist, sehr abwechslungsreiche Gefühle mit sich. Vielleicht habe ich ja die Gabe, zu erspüren, was so in meinem Umfeld passiert. Für mich muss Musik immer eine Notwendigkeit und eine Wahrheit haben; umso zeitloser ein Gefühl ist, desto besser. Zweifel zum Beispiel begleiten einen ein Leben lang. Insofern lohnt es sich, darüber mal ein Lied zu schreiben. Darf ein Mann weinen und über seine Gefühle sprechen? Finde ich schon. Es ist ein Klischee, dass Männer immer hart sein müssen. Es ist sehr mutig, wenn ein Mann es zulässt, vor anderen zu weinen. Das ist wahre Stärke. Haben Sie als Sänger einen Auftrag? Wollen Sie anderen Männern beibringen, sich zu öffnen? Nee, überhaupt nicht, das ist einfach mein Lebensstil. Ich lebe intensiv und bewusst und drücke dies in der Musik aus. Ich versuche, tiefgründige Texte zu schreiben, die ich auch noch in drei Jahren singen kann. Ich wollte nie ein Vorbild für andere Männer sein. Das wäre ja auch Quatsch, denn ich lebe meine Gefühle ja öffentlich aus. Ich hatte schon früher die Tendenz zum Verträumtsein und habe mich mit Freunden gern über die großen Fragen des Lebens unterhalten. Ich wollte verstehen, was uns Menschen ausmacht. Stehen Frauen nicht doch eher auf Machos als auf Softies? Diese Fragen kann ich gar nicht beantworten, die müssten Sie eigentlich den Frauen stellen. Meine Erfahrung ist, es gibt Frauen, die auf Machos stehen, und welche, die auf Softies stehen. Und das ist auch gut so. Klar mögen Frauen meine Musik, auch etwas ältere. Es ist aber nicht so, dass zu mir nur wenige Männer kommen. Können Sie beim Schreiben das weltpolitische Geschehen ausblenden? Auch Gewalt ist eine menschliche Eigenschaft, leider, aber natürlich wünscht sich jeder Mensch den Weltfrieden. Im Grunde geht es uns ja gut, und gerade der Luxus, nicht hungern zu müssen, bringt Verantwortung mit sich. Nämlich, sein Leben bewusst zu gestalten. Wir leben in einer Zeit, in der es nur darum geht, in sozialen Netzwerken Aufmerksamkeit zu erregen. Davon müsste man wieder ein bisschen wegkommen. Ihre Eltern sind Ägypter, Sie selbst wurden in Augsburg geboren. Fühlen Sie sich auch als Ägypter? Nein. Ich wurde adoptiert, als ich eine Woche alt war. Zur ägyptischen Kultur habe ich keinen Bezug, ich sehe mich als Bayer, bin auch nicht zweisprachig aufgewachsen. Einzig meine Hautfarbe wirft die Frage nach meiner Herkunft auf. Natürlich habe ich mich mit der Kultur Nordafrikas auseinandergesetzt, um meine Herkunft ein bisschen zu verstehen. Aber ich musste nicht nach Ägypten fahren, um meine Identität zu suchen. Günter Grass spricht von einem erotischen Verhältnis zur deutschen Sprache. Welches Verhältnis haben Sie selbst zu Ihrer Muttersprache? Ich bin auch sehr verliebt in die deutsche Sprache, weil sie für jedes Gefühl ein Wort bietet. Die englische Sprache ist deutlich einfacher strukturiert. Eine Sprache ist nach außen hin auch ein Image, und Deutsch wird international als harte Sprache wahrgenommen. Diese Härte passt irgendwie zur deutschen Disziplin. Mein Ansinnen ist es, meiner Muttersprache eine Weichheit zu verleihen in meinen Liedern. In der Popmusik müssen die Melodien und die Sprache ineinander fließen, es darf beim Hören nicht anstrengend werden. Ein zentrales Thema auf Ihrem Album ist das Loslassen. Können Sie selbst gut los lassen? Inzwischen ja. Alte Gewohnheiten und Gedanken aufzugeben ist schwierig, aber es lohnt sich. Unser Leben ist ständig in Bewegung. Wenn man das annimmt, wird vieles einfacher. Ich hatte Zweifel, ob meine neuen Lieder gut genug sind, um mit meiner erfolgreichen ersten Single mithalten zu können. Irgendwann sagte ich zu mir, dass ich dankbar sein sollte mit dem, was ich hatte. Und dann ist der Song „Hey!“ entstanden. Sie besitzen eine Vier-Oktaven-Stimme. Setzen Sie diese voll ein? Die äußersten Höhen benutze ich in meinen Liedern gar nicht mehr. Die hohe Frequenz ist ab einem bestimmten Punkt nicht mehr angenehm anzuhören. Früher habe ich im Schulchor Sopran gesungen und nie bewusst den Stimmbruch durchlebt. Deswegen habe ich die hohe Stimmlage nie verloren. Welches war Ihr prägendstes popmusikalisches Erlebnis? Das ist Michael Jackson gewesen. Als ich diesen Typen zum ersten Mal auf dem Schirm hatte, war es ein Skandal, dass ein Musiker seine Hauptfarbe veränderte. Für mich eine irre Geschichte. Zudem war Jackson ein herausragender Künstler. Groß geworden bin ich aber mit deutscher Musik. An Grönemeyer faszinierte mich immer, wie es ihm gelang, Sprachrohr einer Gesellschaft zu sein. Jeder Künstler träumt davon, ein zeitloses Album wie „Mensch“ zu erschaffen. Im Netz werden Sie bereits als der neue Xavier Naidoo gehandelt. Stört Sie dieser Vergleich? Überhaupt nicht. Ich bin als Künstler noch nicht so etabliert wie Naidoo oder Grönemeyer, da sucht man nach Vergleichen, um Zugehörigkeit zu schaffen. Ich muss zugeben, ich find’ mich da in guter Gesellschaft wieder, aber Vergleiche vergehen auch wieder. Beim Musikmachen versuche ich nicht daran zu denken, was andere über mich sagen. Am Ende zählt nur, ob die Musik Menschen bewegt.

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