Ludwigshafen „Nagelsmann hat mich zu dem gemacht, was ich bin“

Mit der U21-Nationalmannschaft wurde Nadiem Amiri im Sommer Europameister.
Mit der U21-Nationalmannschaft wurde Nadiem Amiri im Sommer Europameister.
Nauwid, haben Sie eine Dauerkarte für die Heimspiele von der TSG Hoffenheim?

(lacht). Ich habe fast alle Heimspiele gesehen und bin auch auswärts in der Regel immer dabei. Und was sagt Ihr Verein, der FC Arminia Ludwigshafen, dazu, dass Sie öfter nicht spielen können, wenn die Partien von der TSG und des FCA am selben Tag stattfinden? Nauwid: Das war vor der Saison abgesprochen. Nadiem hat Vorrang. Wir spielen aber um den Aufstieg, und deswegen hat mich der Trainer bei zeitlichen Überschneidungen zweimal gebeten, zu spielen, was ich getan habe. Nadiem: Für mich ist es ein sehr schönes Gefühl, wenn Vertrauenspersonen, also mein Bruder oder unsere Eltern, bei den Spielen von der TSG Hoffenheim dabei sind. Nadiem, haben Sie auch schon Arminia-Spiele gesehen? (schmunzelt). Nicht viele, aber hin und wieder schaue ich schon mal zu. Nauwid, kritisieren Sie die Leistungen Ihres Bruders? Er weiß selbst am besten, wenn er mal nicht so gut gespielt hat. Ich lasse ihn dann meistens in Ruhe. Einen Tag später analysieren wir die Partie gemeinsam. Ihr Bruder ist Profi geworden, Sie nicht. Haben Sie sich gefragt, woran es lag? Nauwid: Den Traum, Profifußballer zu werden, habe ich auch gehabt. Beim SV Waldhof Mannheim habe ich U19-Bundesliga gespielt, danach in der Regionalliga unter Kenan Kocak, der heute Sandhausen trainiert. Dass es nicht reicht, habe ich irgendwann gemerkt. Ich habe aber auch gesehen, dass Nadiem sehr stark ist. Als kleinen Jungen habe ich ihn auf den Bolzplatz mitgenommen. Er war unglaublich bissig und ehrgeizig. Nadiem, was hat Ihnen das Kicken auf dem Bolzplatz in Mundenheim gebracht? Da habe ich gelernt, mich durchzusetzen, mich auf engstem Raum zu behaupten. Meine Technik habe ich ständig verbessert, das ist mir zugute gekommen. Diese Erfahrungen waren wertvoll. Dazu wollte ich immer gewinnen. Haben Sie noch Kontakt zu den Jungs vom Bolzplatz? Nadiem: Es gibt nicht mehr die enge Verbindung, aber ich weiß, dass die Jungs unheimlich stolz sind, dass es einer von ihnen gepackt hat. Sie mussten aber auch früh Rückschläge verkraften. Nadiem: Ja, nach viereinhalb Jahren in der Jugend des 1. FC Kaiserslautern war ich einer von sieben Spielern, die aussortiert wurden. Das war sehr hart, ein Schock. Ich habe geweint, meine Mutter auch. Als sie mit meinem Vater, der zu der Zeit gerade geschäftlich in Afghanistan war, telefoniert hat, hat der sofort gemerkt, was los ist. Ein Onkel hat mich dann zum SV Waldhof gebracht. Dort habe ich herausgeragt und schließlich Anfragen anderer Klubs bekommen. Von wem? TSG Hoffenheim, Karlsruher SC und VfB Stuttgart. Warum haben Sie sich für Hoffenheim entschieden? Die Gespräche mit Alexander Rosen, dem damaligen Leiter des Nachwuchsleistungszentrums, haben mich überzeugt. Außerdem war meine Familie von den Bedingungen in Hoffenheim begeistert. Alles in allem war das ein Traum, zumal ich in der Jugend Julian Nagelsmann als Trainer hatte. Er war schon damals eine sehr wichtige Bezugsperson und hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Können Sie sich noch an Ihr erstes Bundesligaspiel erinnern? Ja, das war Anfang 2015 unter Trainer Markus Gisdol in Wolfsburg. Trotz der Niederlage war es ein überragendes Gefühl, zumal ich 90 Minuten gespielt habe. Da bin ich auf André Schürrle getroffen, der auch aus Ludwigshafen stammt. Als wir vor dem Spiel im Kabinengang standen, streichelte mir plötzlich jemand leicht von hinten über die Haare. Das war Schürrle. Ich war begeistert, nervös und aufgeregt in einem. Später hatte ich einen Durchhänger und wurde für einen Monat in die U23 geschickt. Das hat mir gut getan und mir in meiner Entwicklung geholfen. Fußball steht medial sehr im Fokus. Genießen Sie den Rummel oder ist er lästig und Sie ertragen ihn? Es macht mir nichts aus, in der Stadt erkannt zu werden. Es freut mich, wenn Leute ein Foto mit mir machen wollen. Ich weiß allerdings auch, wann ich mich zurückziehen muss, wenn es zu viel werden sollte. Wie wichtig ist die Familie? Nadiem: Ohne meine Eltern und ohne meinen Bruder wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Nauwid: Wir versuchen, ihn abzulenken, reden auch über andere Dinge. Aber klar ist, Fußball ist das Thema Nummer eins. Die Familie liebt diesen Sport und ist sehr, sehr stolz auf Nadiem. Unser Vater kennt den Spielplan auswendig, kann auf Anhieb sagen, wer die nächsten acht Gegner der TSG sind (lacht). Gibt es noch Kontakt in die Heimat Ihrer Eltern? Nauwid: Unsere Eltern sind in den 1980er-Jahren aus Afghanistan geflüchtet. Mein Vater hat noch einen Draht in seine Heimat, weil sein Bruder noch dort lebt. Wir haben keine Kontakte dahin. Wir sind in Deutschland geboren, in Ludwigshafen aufgewachsen. Hier haben wir das Fußballspielen gelernt, Ludwigshafen ist unsere Heimat. Wie wichtig ist der Glaube? Nadiem: Er macht mich stark, gibt mir Kraft. Vor dem Anpfiff bete ich. Was hätten Sie gerne von Ihrem Bruder? Nauwid: Den Biss und Willen, seine Fähigkeit, Defensivzweikämpfe zu gewinnen und Bälle zu erobern. Aber er kann von mir auch noch viel lernen. Nadiem (lächelt gequält und zögert etwas): Von Nauwid hätte ich gerne seine Ordnung. Bei ihm ist alles sauber und perfekt. Er war auch in der Schule besser als ich. Wie ist Ihr Verhältnis? Nauwid: Sehr gut, auch wenn Nadiem manchmal nervt (grinst wieder). Nadiem (ernst): Ich bin meinem Bruder immer zu großem Dank verpflichtet. Als es in der Jugend ums Feiern ging, war er sehr streng zu mir. Das hat mir damals nicht gefallen, heute bin ich dankbar dafür. Gibt es auch unter Bundesligaspielern Freundschaften? Nauwid: Es gibt nur wenige Freunde, aber das Verhältnis untereinander ist eher professionell. Klar ist aber, man muss sich gut verstehen, sonst kann man keinen Erfolg haben. Nauwid hat Sie am Anfang betreut. Geht es im Profifußball nicht mehr ohne Berater? Nadiem: Man braucht einen Berater, aber es ist auch gut, wenn ein Familienmitglied bei Gesprächen dabei ist. Irgendwann werden Sie den nächsten Schritt machen. Wie könnte der aussehen? Nadiem: Mein Kindheitstraum ist es, in der Champions League zu spielen. Das hätten wir in diesem Jahr mit Hoffenheim fast geschafft. In der Europa League haben aber auch wir trotz des Ausscheidens wichtige Erfahrungen gesammelt, allerdings auch Lehrgeld bezahlt. Müssen Sie wechseln, um Champions League zu spielen? Nadiem: Man muss immer für alles offen sein. Bei einem Wechsel muss aber das Gesamtpaket passen. Letztlich entscheiden wir als Familie. Aber das ist momentan alles kein Thema. Ich konzentriere mich voll auf Hoffenheim. Welchen Wert haben Verträge heute noch? Nauwid: Ich glaube eher einen geringen Wert. Wenn ein Spieler unbedingt weg will, gibt es meistens Lösungen. Zumindest beobachtet man das oft. Nadiem: Verträge haben schon noch eine Bedeutung. Es ist schwer, herauszukommen, wenn man kein Topstar ist. Verträge geben aber auch Sicherheit. Zuletzt wechselte Neymar für 220 Millionen Euro zu Paris, Dembele für 150 Millionen nach Barcelona. Sind die heutigen Ablösesummen nicht Wahnsinn? Nadiem: Wenn man die Summe, die für Neymar bezahlt worden ist, nimmt, dann auf jeden Fall. Da hätte man viel Gutes mit machen können. Man hätte nur einen Teil des Geldes nehmen müssen und unzähligen Bedürftigen damit helfen können. Davon gibt es in der Welt leider viele. Seit dieser Saison gibt es den Videobeweis. Seitdem wird viel darüber diskutiert. Ist die neue Technik gut oder schlecht? Nadiem: Aktuell gibt es noch zu viele Probleme in der Anwendung. Das Spiel verzögert sich, man kann nach einem Tor nicht mehr unbeschwert jubeln und die Stimmung im Stadion verändert sich. Zuvor war man bei Fehlentscheidungen mal der Leidtragende, mal hat man profitiert. Das hat mir eigentlich besser gefallen.

Der Vertrag von Nadiem Amiri bei der TSG Hoffenheim geht noch bis 2020. Das Ziel des Technikers ist es, in der Champions League
Der Vertrag von Nadiem Amiri bei der TSG Hoffenheim geht noch bis 2020. Das Ziel des Technikers ist es, in der Champions League zu spielen.
Nauwid Amiri (rechts) in seiner Zeit bei Südwest Ludwigshafen.
Nauwid Amiri (rechts) in seiner Zeit bei Südwest Ludwigshafen.
Dynamisch: Nadiem Amiri.
Dynamisch: Nadiem Amiri.
Elegante Ballführung: Nauwid Amiri, im Dress des FCA.
Elegante Ballführung: Nauwid Amiri, im Dress des FCA.
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