Ludwigshafen Menschen mit Herz

Die Sammlung der Briefe, die im Bunker gefunden wurden.
Die Sammlung der Briefe, die im Bunker gefunden wurden.

Eigentlich habe ich mir royale Hochzeiten immer gerne angesehen. Aber an diesem Pfingst-Wochenende war überhaupt nicht an den Kuss von Prinz Harry und Meghan Markle zu denken. Die Schwäne im Luitpoldhafen haben die halbe Parkinsel rund um die Uhr auf Trab gehalten. Alles begann für mich am Donnerstagmorgen. Mein freier Tag. Ich überlegte, was ich alles erledigen will, als es an der Haustüre klingelt. Sophie und Anne stehen vor der Tür. „Kannst du uns helfen, die Schwäne zu retten?“, fragt Sophie. „Klar“, sage ich. „Moment, ich ziehe mir was an“, antworte ich. Und schon geht es schnellen Schritts Richtung Hafen. Ich kenne die Schwäne gut. Wenn es im Winter richtig schön kalt ist, füttere ich sie ab und an mit Maiskörnern vom „Tierprofi“. Brot soll man ihnen ja nicht geben. Und immer, wenn sie etwas bekommen, pfeife ich. Das hatte ich in einem Buch gelesen. Die Mädchen erzählen aufgeregt durcheinander: Hochwasser, Eier werden nass, Sandsäcke, die hat ein Gärtner empfohlen, die freiwillige Feuerwehr war da und hat gesagt, sie macht da nix, sechs Eier im Nest, aber heute Morgen lagen sie im Wasser. „Sophie, wir müssen erst in Ruhe überlegen. Wir wollen ja nichts falsch machen“, sage ich und schreibe einer Freundin, deren Mann Tierarzt ist. „Eier nicht anfassen, versuche das ganze Nest hochzuladen“, kommt als Antwort zurück. So weit war ich schon. Ich sehe, dass er – die Mädchen nennen ihn Schwanus und sie Schwana – dabei ist, Grünzeug zu rupfen und ans Nest zu bringen. „Sophie, wir versuchen, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten“, meine ich. „Ja, das machen wir ja schon“, sagen die beiden. Ute und Annes Oma Edith kommen auch noch dazu. Am Abend zuvor hatten die beiden Mädchen mithilfe einiger Nachbarn schon die ersten Sandsäcke ums Nest drapiert. Die Kinder aus den naheliegenden Häusern haben überall geklingelt und nach Baumwoll-Einkaufsbeuteln gefragt. Sie waren sehr erfolgreich. Es liegen oben an der Straße genug der Säcke. Ohne Unterlass schaufeln Anne und Sophie Sand und Steine. Sie haben einen Wettlauf gegen die Zeit begonnen. Und sie wollen gewinnen. Um jeden Preis. Kinder können so wunderbare Menschen sein. Zu Hause habe ich ein Kalenderblatt von 2013 mit einem Spruch des Dalai Lama aufgehoben und an der Wand hängen. „Gib niemals auf, entwickle dein Herz. Zu viele Menschen in deinem Land entwickeln den Verstand anstelle des Herzens. Habe Mitgefühl, nicht nur mit deinen Freunden, sondern mit jedem Wesen. Habe Mitgefühl und arbeite für den Frieden. Egal, was passiert. Gib niemals auf.“ Für viele Kinder eine ganz leichte Übung. Zu fünft sind wir wie auf Schienen unterwegs. Sandsäcke, Grünzeug schneiden. Ich hole außerdem noch Stroh und Heu beim „Tierprofi“, damit wir schneller vorankommen mit den Innenleben des Nests. Ute hat den Job übernommen, die Beutel einen nach dem anderen zu platzieren. Es ist ein Hin und Her. Während Schwana kurz auf die Säcke nach deren Landung hackt, fährt Schwanus den ein oder anderen Vertreibungs-Angriff. Aber wir lassen nicht locker. Gegen Abend scheint sicher, dass das Wasser nicht weiter steigen wird. Wir haben das Gefühl, dass nun nichts mehr zu machen ist. Die Eier sind jedenfalls im Trockenen. Schwana macht einen entspannten Eindruck. Am Freitag bauen wir ihr dann noch einen Steg, damit sie leichter aus dem Nest kommt. Tags drauf geht das Wasser leicht zurück. Die Mauer, hinter der das Nest liegt, ist zum Treffpunkt geworden. Alle fiebern mit. Werden sie schlüpfen? Und wenn ja, wann endlich? Am Samstag muss ich gegen Abend dann weg. Die nächste Geschichte. Wieder geht es um Menschen mit Herz. In der Maxstraße treffe ich Barbara und Andreas Mahr, die Besitzer eines Luftschutzbunkers sind. Sie haben den Klotz vor sieben Jahren gekauft und vermieten darin Proberäume an Musiker. Beim Saubermachen hat Andreas Mahr vor vier Jahren ein kleines Bündel entdeckt und aufgehoben – und nicht schlecht gestaunt. Es waren die Briefe, die die Frau eines italienischen Gastarbeiters ihrem Mann in den Kriegsjahren geschrieben hatte: Giacomo Biffi aus Caprino Bergamasco. „Die werfe ich nicht weg“, hat der Bunkerbesitzer sich gedacht. Seine Frau Barbara hat sie einer Bekannten gegeben, Silvia Bernd, die in der Stadt bei einem Orthopäden als Arzthelferin arbeitet. Und die hat sie der in der italienischen Gemeinde der Stadt allen bekannten Silva Burrini gegeben. Die ehemalige Sozialarbeiterin hat sich an die Arbeit gemacht. Und zwar richtig. Sie schätze Silvia Bernd sehr, sagt sie. Es war ihr ein Bedürfnis, zu helfen. „Ich habe kein einziges Mal nein gesagt, was unsere Leute betrifft“, sagt die gebürtige Italienerin, die schon sehr lange in Ludwigshafen lebt. Sie hat Erfahrung in sensiblen Fragen. „Ich habe immer mit den Menschen geredet“, sinniert die Rentnerin, die sich zunächst in Caprino Bergamasco auf die Spurensuche gemacht hat. Weil es lange keine Antwort gab, hat sie dann mal beim Bürgermeister angerufen. Es stellte sich heraus, dass Familie Biffi inzwischen in Mapello bei Bergamo wohnt. Und dort sind am vergangenen Samstag die Frau des jüngsten Sohnes von Giacomo Biffi, Lillia, und deren beide Söhne Marco (42) und Matteo (41) nach Ludwigshafen aufgebrochen, um die Briefe abzuholen. Ganz oben unter dem Dach des Bunkers hat Silva Burrini dem Trio die Briefe überreicht. „Er hat nie von Deutschland oder vom Krieg erzählt. Nur wenn er getrunken hat, dann hat er Deutsch gesprochen“, sagt Lillia. Die Enkel haben den Großvater nie kennengelernt, der 1976 gestorben ist. Er war Maurer. Italien, das von Deutschland Kohle bekam, musste dafür Arbeiter schicken. Zwei Schwanenküken sind am Sonntag gegen Abend geschlüpft, das dritte am Montagmorgen. Den royalen Kuss habe ich dann auch noch gesehen. Was für ein Wochenende!

Lillia, Marco (links) und Matteo Biffi vor dem Bunker.
Lillia, Marco (links) und Matteo Biffi vor dem Bunker.
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