Ludwigshafen In weiter Ferne am Tag X

Der Tag, an dem Altkanzler Helmut Kohl sterben würde, hat uns jahrelang in der Lokalredaktion beschäftigt. Würde es an einem Sonn- oder Feiertag sein und uns auf dem falschen Fuß erwischen? Denn dann ist die Redaktion spärlich besetzt. Es war fast ein geflügeltes Wort, wenn wir uns ins Wochenende verabschiedeten und dem diensthabenden Redakteur sagten: „Falls mit ’Helle’ etwas ist, dann sag’ Bescheid, dass wir reinkommen.“ Nun ist er an einem Freitagmorgen gestorben. Die Nachricht erreichte uns kurz nach 17 Uhr. Die „Bild“-Zeitung verkündete die Neuigkeit, denn ihr ehemaliger Chefredakteur Kai Dieckmann ist ein enger Vertrauter von Maike Kohl-Richter. Er war vor Ort in Oggersheim und hatte offensichtlich Einfluss auf die Veröffentlichung genommen. Bei uns wurde die Zeitung komplett umgestaltet – der ursprüngliche Aufmacher wurde von der Titelseite genommen und es begann ein langer Abend. Ich hatte bereits vor einiger Zeit eine Telefonliste mit Kohls Weggefährten vorbereitet für den Tag X, damit wir schnell ein paar Stimmen einfangen konnten. Die Kollegen begannen zu telefonieren. Ich selbst hatte frei und war im Elsass mit Freunden zelten. Dort erreichte uns zeitverzögert die Nachricht und ich rief in der Redaktion an, wo heftig gearbeitet wurde. „Kann ich irgendwie helfen?“, fragte ich meinen Kollegen Axel Nickel mit schlechtem Gewissen. Denn aus der Ferne konnte ich kaum etwas tun und bis ich nach Ludwigshafen zurückgefahren wäre, hätte es einige Stunden gedauert. „Alles im Griff. Mach’ dir keine Sorgen. Was macht ihr gerade?“, fragte Axel. Ich stand neben einem Grill, auf dem gerade ein paar Würstchen brieten. Axel lachte und meinte nur trocken: „Guten Appetit. Einer muss ja das Bier trinken, wenn die anderen schaffen.“ Die beste Ehefrau von allen verstand meinen Gewissenskonflikt, war aber eigentlich ganz froh, dass ich zur Abwechslung mal so weit ab vom Schuss war. Nach meiner Rückkehr blieb noch genug Arbeit übrig in den Tagen bis zum Begräbnis. Das Hin und Her um die Bestattung, der leere Sarg, der zur Probe aus dem Haus in der Marbacher Straße getragen wurde – das alles hielt uns in der Lokal- und der Politikredaktion ziemlich auf Trab. Ich habe in den vergangenen Tagen öfters an Begegnungen mit Helmut Kohl zurückgedacht – abseits von aller Politik: In Friesenheim habe ich ihm einmal aus Versehen beim Ausladen eines Musikinstruments meine Autotür vor den Latz geknallt und den Weg in der Hegelstraße versperrt. Beim Metzger im Bismarckzentrum stand ich zufällig hinter Kohl und seiner Frau Hannelore und staunte über die Wurstberge, die der Kanzler kaufte. Ich war auch in der euphorischen Menge, als der dunkle Reisebus mit Kohl und Gorbatschow zu seinem Wohnhaus in Oggersheim fuhr und die Leute lautstark „Gorbi, Gorbi“ riefen. Am eindrücklichsten blieb eine berufliche Begegnung haften. Mein Kollege Stefan Keller und ich interviewten Kohl anlässlich des Stadtjubliäums 2003 in seinem Zuhause. Das Gespräch dauerte rund zwei Stunden. Zum letzten Mal begegnete ich Kohl an seinem 80. Geburtstag im Pfalzbau. Es war bewegend zu sehen, dass in diesem gelähmten Körper noch ein wacher Geist steckte. Er konnte kaum sprechen, wollte aber eine Rede halten. Ein Kraftakt, der niemanden im Saal unberührt ließ. Jetzt ist der Altkanzler tot und begraben. Unsere Planung für den Tag X habe ich diese Woche von der Pinnwand abgehängt und abgeheftet. Ruhe in Frieden „Helle“. Die Kolumne Fünf Redakteure berichten für die RHEINPFALZ über Ludwigshafen. Ihre Erlebnisse aus dem (Arbeits-)Alltag nehmen die Redakteure in der Kolumne „Quintessenz“ wöchentlich aufs Korn.

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