Ludwigshafen Gerangel mit Schuhen

Unterdrücker und Unterdrückter: Kirill Berezovski und volt (von links) in „Animals as Leaders“.
Unterdrücker und Unterdrückter: Kirill Berezovski und volt (von links) in »Animals as Leaders«.

Aus kleinsten Anfängen vor zehn Jahren ist „Freier Tanz im Delta“ zu einem ausgewachsenen Festival geworden, das sich im Mannheimer Theater Felina-Areal über sechs Abende erstreckt hat. An 43 Produktionen waren 72 Mitwirkende beteiligt – Bekannte aus der Rhein-Neckar-Szene, deren Freunde und viele Neue.

Wenn es für die Teilnahme an diesem Festival überhaupt Vorgaben gibt, sind sie primär organisatorischer Natur. Begrenzte Mittel, Begrenztheit des Raums und zeitliche Zwänge verlangen nach kleinen Produktionen: Solos oder Duos. Trios sind schon selten und noch größere Formationen die Ausnahme. Die meisten Mitwirkenden sind mehr oder weniger gestandene Choreografen und Tänzer, aber auch Anfänger bekommen eine Chance. Qualität wird zwar vorausgesetzt, aber es gibt kein Auswahlgremium. Und auch kein vorgegebenes Thema. Jeder präsentiert, was er will und was ihm persönlich wichtig ist. Dennoch schafft es dieses unkonventionelle Festival, so etwas wie eine Struktur einzuhalten und dem selbstgesteckten ästhetischen Anspruch zu genügen. Es hat ihn sogar gesteigert. In der freien Szene muss Tanz nicht Erwartungen bedienen; Anliegen kommen unverstellt zum Ausdruck. Als ein Hauptthema trat an den beiden letzten Abenden ein neues Selbstverständnis der Frauen in den Vordergrund, das sich auch in ihrer Untersuchung der Beziehung von Frau zu Frau niederschlägt. Im Solo inszeniert sich Daura Hernández Garcia als starke Frau, die jahrhundertelang als Hexe gebrandmarkt wurde. Tamara Pitzer visualisiert mit der minimalistischen Bewegung des Butoh ein langsames Ertrinken. Elisabeth Kaul dreht sich mit kokettem Blick und in spitzbübischer Abwandlung der klassischen Schwanen-Haltung zu „Flamingovariation“ im Kreis. Die Frauen-Duos waren nicht nur minutiös und vergleichsweise lang ausgearbeitet; sie boten auch eine überraschende Vielfalt. Lisa Bless aus Heidelberg und Catarina Teixeira aus Portugal haben sich zu einer engen Bindung zusammengefunden, deren Nähe und Distanz, elegische Ruhe und dynamischen Ausbruch sie „Portrait of Nobody“ nennen. Das Duo „gebennehmengeben“ von Elisabeth Kaul und Tess Lucassen ist eine mehr performative Demonstration von Triumph und Unterdrückung. Die Schwestern Anna und Madeline Harms stammen aus Australien. Ihr „Helen Avenue“ ist spannungsvolle schwesterliche Gemeinsamkeit. Nach einem komischen Schuhgerangel am Boden gipfelt sie in einer parallel geführten furiosen Step-Tanz-Show. Maria Anzivino und Ginevra Cecere waren nebst Choreografin Emma Cianchi aus Neapel angereist. Sie entführen in eine düstere Fantasy-Atmosphäre aus Bühnennebel, Licht und elektronischer Live-Musik. Miriam Markl und Cecilia Ponteprimo besetzen die realistische Gegenposition in einer kritischen Party-Skizze mit gefüllten Gläsern in der Hand. Bei den gemischten Duos ging es um Gleichheit der Geschlechter bei minimalen Unterschieden. Sehr eindrucksvoll getanzt von Marta Jaén Garcia und Alfonso Fernández Sánchez in spanisch straffer Körperhaltung mit eckigen geometrischen Bewegungen („Un/Locked“) und als furioses Kontinuum von den Geschwistern Cecilia und Lorenzo Ponteprimo („Antenna“). Outstanding Highlights, sagen wir es begeistert auf Englisch, waren „Show Business“ von Catherine Guerin und „Animals as Leaders“ von Mike Planz. Zu Live-Anweisungen von Catherine Guerin tanzt Pascal Sangl um einen Tisch gehorsam langes Training und kurze Hampelmann-Show. Kirill Berezovski und volt sind wechselweise arrogant brutaler Unterdrücker und hündischer Unterdrückter in einem beckettartigen Ritual.

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