Ludwigshafen Ein kurzer Moment am Flügel

Alfred Brendel, einer der größten Pianisten unserer Zeit, der vor sechs Jahren seinen endgültigen Abschied von den Konzertbühnen bekanntgab, hat sich in Ludwigshafen doch wieder an den Flügel gesetzt. Aber das nur für ein paar Takte, dann stand er schnell wieder auf. Denn eigentlich ist er nicht als Pianist, sondern als Lehrer gekommen: In einem Werkstattkonzert im BASF-Gesellschaftshaus erarbeitete Brendel mit dem jungen Pianisten Kit Armstrong, dem Geiger Andrej Bielow und der Cellistin Anita Leuzinger das B-Dur-Trio von Franz Schubert.

Viele bedeutende Musiker scheuen den Lehrbetrieb: zu akademisch, zu zeitaufwendig, vielleicht auch zu konfliktbeladen, wenn zwei Künstler aufeinandertreffen. Und die Sprache des Lehrers kann nicht immer die Musik sein, er muss seine Vorstellung auch verbal zum Ausdruck bringen können. Alfred Brendel aber hat sich schon früh als Musikpädagoge betätigt und einigen auserwählten Musikern Unterricht gegeben: Milana Chernyavska, Paul Lewis und nun auch dem jungen Kit Armstrong, der in einer Reihe von Konzerten in Ludwigshafen auftreten wird. In einer Art offenen Probe konnte das Publikum Brendels Lehrstil nun kennenlernen. Bei dem Spiel des Trios achtete er darauf, dass jede Note ernst genommen wird: „In Takt 22 ist eine lange Note, spielen Sie die auch lang!“ Und: „Die Musik in diesem Trio muss immer lebendig klingen, immer!“ Der Wunsch nach Vitalität, nach Frische und nach dem Respekt für jeden Ton sprach aus jeder noch so kleinen Anmerkung. Brendel überblickt das Ganze, den Grundcharakter eines Stückes oder Satzes, und sucht dieses dann im Kleinen. Seine Kritik beschränkte sich aufs Wesentliche und wenn ihm die Sprache nicht ausreichte, sang Brendel oder dirigierte den erhofften Schwung mit. Die Qualität der drei Musiker lag darin, dass sie Kritik sofort umsetzen konnten. So erlebten die Zuhörer die Formung eines Stückes unter den Händen – und den Ohren – Alfred Brendels. Was Brendel von seinen Musikern forderte, nämlich die intensive Auseinandersetzung mit der Musik, dem Komponisten und dessen Eigenheiten, zeigte er in einem kleinen Vortrag vor der Probe. Hier redete er über den Charakter des B-Dur-Trios, über all das, was nicht analysierbar sei, „weil das ungleich schwieriger ist, aber genauso wichtig“. Schubert sei weder der zarte Melodiker, noch der vom permanenten Trauerflor umwehte Romantiker. Gerade auch im B-Dur-Trio sei nichts von dem Todesgrauen zu hören, das man Schuberts Musik so gern andichtete. Weil aber Schubert auch kein „musikalischer Hysteriker“ gewesen sei, verlangte er mehr Sanglichkeit in den Melodien, keine unerwarteten Stimmungswechsel sondern die gedankliche Vorbereitung des Neuen, ein „wellenartiges Musizieren“. Außerdem, immer wieder: „Mehr Schwung!“ In der Matinee, die dem Pianisten und Komponisten Kit Armstrong gewidmet war, konnte das Publikum buchstäblich hören, was Alfred Brendel meinte, als er von der unbändigen Vitalität des B-Dur-Trios sprach. Nun spielte Adrian Brendel den Cellopart, er hatte für den Samstagabend „in einem Anflug von Dummheit“ – so der Vater – noch ein Konzert in England zugesagt, weshalb ihn Anita Leuzinger in Ludwigshafen vertrat. Der erste Satz klang wie aus einem Guss, als ob die Musiker schon am Anfang das Ende mitgedacht hätten und mit jeder einzelnen Note darauf hin spielen würden. Selbst das ominöse Cello-Intermezzo sollte den Fluss nicht stoppen. Der ganze Satz war ein permanentes „Vorwärts!“. Auch die übrigen Sätze schienen dem Brendel’schen Grundcharakter zu folgen, was das Andante manchmal etwas zu forsch ertönen ließ. Aber auch hier entwickelte das Ineinanderflechten der Streichermelodien eine immense Sogwirkung. Im Scherzo herrschte ein Kampf der Akzente, der nichts übrig ließ von tänzelnden Melodien und erst im letzten Satz dann, ganz am Ende, wenn die Musik an einen heiteren Wirtshaustanz erinnert, da trat das Leichte, das Unterhaltende der Komposition hervor. Bis zum Ende musste man gebannt der Musik lauschen, die eines besonders deutlich zeigte: Dass es Schubert auch in seinen letzten Werken keineswegs an Lebenslust gefehlt haben kann.

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