Ludwigshafen Die Ikone lebt

Zwei von vielen Musikern, die Joy Fleming würdigten: ihr Lebensgefährte Bruno Masselon am Keyboard und Bassist Niklas Esser.
Zwei von vielen Musikern, die Joy Fleming würdigten: ihr Lebensgefährte Bruno Masselon am Keyboard und Bassist Niklas Esser.

Aus zwei überlebensgroßen Schwarz-Weiß-Porträts schien Joy Fleming das Geschehen auf der Bühne des Mannheimer Capitols kritisch zu beobachten. Doch Skepsis war an diesem Abend unangebracht, den ihr Sohn Bernd Peter Fleming dem Andenken seiner Mutter gewidmet hatte. Um an die Sängerin zu erinnern, gaben sich Freunde und Weggefährten das Mikro in die Hand.

Bunt wurde der Abend durch einen Mix aus Musik und Filmdokumenten, O-Tönen und Anekdoten, die sie fast wieder lebendig machten: Joy Fleming, kurz vor Kriegsende 1944 als Erna Raad in Rockenhausen geboren. Gestorben ist sie am 27. September 2017 in Sinsheim-Hilsbach. Familienmitglieder, Freunde und Künstlerkollegen haben die Jazz- und Bluessängerin, die in Mannheim und Umgebung den Rang einer Ikone hatte und bis heute hat, über Jahrzehnte begleitet. Und viele von ihnen gaben sich jetzt ein Stelldichein im Capitol. Den Anfang machte Hans-Peter Schmidt-Treptow mit „Jetzt bist du auf deiner letzten Reise“, einer bewegenden Cover-Version von Hildegard Knefs „60 Jahre und kein bisschen weise“ und dem abschließenden Gruß „Mach’s gut, du warst groß, tschüss“. Zu ihm gesellten sich im Laufe des Abends gleich sechs Sängerinnen, die Flemings Lieder zelebrierten. Begleitet wurden sie von Joys langjähriger Band mit ihrem Lebensgefährten Bruno Masselon am Keyboard, dessen Bruder Pascal an der Gitarre, Schlagzeuger Martin Quinten und Niklas Esser am Bass. Die Mannheimer Sängerin Maria Mastrantonio erinnerte im Stimmvolumen an die dreieinhalb Oktaven umfassende Soulröhre der Autodidaktin. Singer-Songwriterin Joana schrieb mit dem sozialkritischen „Butzekrambel“ auf Joy Flemings Wunsch ihren ersten Song in Mannheimer Mundart. Zwischendurch war immer wieder Joy selbst zu hören und zu sehen. Filmausschnitte zeigten das vielschichtige Bild einer Vollblut-Künstlerin, die für die ganz große Karriere wohl zu prall, zu laut, zu unangepasst war – Authentizität als Lebensaufgabe. Unvergessen das Grand-Prix-Desaster mit ihrem ungleich großartigeren „Ein Lied kann eine Brücke sein“. Überhaupt das Brücken-Thema – es erschien seit dem Neckarbrücken-Blues als durchgängiges Motiv im Schaffen der Künstlerin. Später dann allerlei: „Talentschuppen“, Fernsehshows der 1970er- bis 90er-Jahre, Live-Konzerte. Dazwischen war viel Kommerzielles: Werbeaufnahmen von „Glücksrad“ bis Pepsi, Joys Modekollektion auf QVC – zum Überleben? Nicht zuletzt: ihr Engagement für junge Talente, für benachteiligte Menschen, für Tiere – Herzens-Projekte einer Überzeugungs-Täterin. Steffen Antes las aus Joy Flemings Autobiografie „Über alle Brücken“: Und man erfuhr einiges aus Joys Leben. Von der „Klein Erna“, die – nach einer Lehre im Verkauf und der ungeliebten Fabrikarbeit in „de Gummi“ – bereits als Teenager in amerikanischen Clubs in Mannheim sang und dabei den Jazz und Soul entdeckte. „Riesenvorbild“ sei Joy Fleming gewesen, betonten Cindy Berger, Ingrid Peters und Corinna May. Am Jazz und Soul orientiert, das „Great American Songbook“ im Hinterkopf, bewiesen die Schlagersängerinnen mit Songs der Verstorbenen ihr im Schlager-Genre mitunter zu kurz kommendes Stimmpotenzial. Den bewegenden Schlusspunkt setzte Grand-Prix-Gewinnerin Nicole („Ein bisschen Frieden“) mit „The Rose“. Etwas vom voluminösen Organ seiner Mutter glaubt man in der Stimme von Joy Flemings Sohn Bernd Peter zu hören. Er stimmte zum Finale mit allen Künstlern des Abends die Hymne „Wenn man Freunde hat“ an. Das letzte Wort hatte Joy Fleming selbst, die posthum vom Publikum mit stehendem Applaus gefeiert wurde. „Joy to the World“ – das einem Weihnachtslied entliehene Motto des Abends hätte nicht besser gewählt sein können. Flemings Musik schenkt heute noch Freude, und auch ihr soziales Engagement für Menschen und Tiere lebt weiter: So gehen die Einnahmen des Benefizkonzerts an die Tierherberge Donzdorf zur Unterstützung eines Tierambulatoriums in Ungarn sowie an die Schloss-Schule Ilvesheim, eine Schule für blinde und sehbehinderte Kinder. Das künstlerische Erbe der großen Sängerin pflegen und junge Talente fördern soll ein Nachwuchswettbewerb am Freitag, 25. Oktober, im Capitol. Dabei soll auch ein Joy-Fleming-Preis verliehen werden.

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