Ludwigshafen „Braves Mädchen geht nicht immer“

Jedes Möbelstück in dem schmucklosen Rheingönheimer Ortsvorsteherbüro ist vermutlich mindestens doppelt so alt wie die engagierte Sozialdemokratin, die hier seit einem Jahr jeweils ihre Freitage verbringt: Der schwere braune Massivholzschreibtisch, ein ebenso gefärbter Einbauschrank und ein achtarmiger Leuchter unter der Decke, der manchen 50er-Jahre-Liebhaber bestimmt verzücken würde. Aber das in die Jahre gekommene Mobiliar stört die quirlige Nachwuchspolitikerin wenig. Vielmehr freut sie sich, dass gerade die Toiletten im Gemeindehaus nach einer Ewigkeit endlich saniert werden. „Das ist ein erster Erfolg“, sagt Julia May selbstbewusst. Schließlich seien das die einzigen öffentlichen Örtchen im ganzen Stadtteil. Ein kleiner Strauß weißer Flieder liegt neben dem Computerbildschirm. Ein Bürger habe ihr das duftende Gebinde heute früh in die Sprechstunde mitgebracht, erzählt die 30-Jährige, die ihren Hauptberuf als Rechtsanwältin in einer Ludwigshafener Kanzlei auf 80 Prozent reduziert hat, um sich Woche für Woche einen Tag lang ganz auf ihr Ortsvorsteheramt zu konzentrieren. Dann geben sich die Bürger mit ihren verschiedenen Anliegen oft die Klinke in die Hand. Ob Knöllchen an der Windschutzscheibe, Hundedreck auf dem Gehweg und in Grünanlagen oder Raser auf den Straßen: Das Büro von Julia May in der Dorfmitte ist bei Problemen, Ärger und Wünschen für viele Rheingönheimer die erste Adresse. Die neue Ortschefin hilft und unterstützt, wo sie kann. Aber manchmal muss sie den Menschen auch klarmachen, dass sie nicht 24 Stunden am Tag und überall für alles zuständig und verantwortlich ist. Nach einem Jahr im Amt zieht die Stadträtin für sich eine positive Bilanz. „Es macht Spaß“, sagt sie überzeugend. Ihre Sprechstunden würden sehr gut angenommen, viele Rheingönheimer hätten sie inzwischen kennengelernt, sie habe gute Kontakte zu den Schulen, Kitas und Vereinen. Ihre Motivation: Der gebürtigen Mundenheimerin liegt die Stadt Ludwigshafen sehr am Herzen. „Ich bin Lokalpatriotin“, begründet die junge Frau ihr langjähriges lokalpolitisches Engagement. Mit dem Stadtteil Rheingönheim fühlt sie sich verbunden, seitdem sie vor drei Jahren hergezogen ist. Im nächsten Monat feiert sie Hochzeit – ganz traditionell, ganz in Weiß, und die Trauung findet im Ortsvorsteherbüro statt, berichtet die Brünette voller Vorfreude. Außerdem ist sie mit ihrem Liebsten auf der Suche nach einem Häuschen. Was in dem Stadtteil, der bei jungen Familien punktet, gar nicht so einfach sei. Eine gute Nachricht hat May für Häuslebauer: Kommende Woche ist Spatenstich für ein kleines Neubaugebiet „Im Sommerfeld“. Rund 50 Bauplätze für Ein - und Zweifamilienhäuser sind dort geplant. Wie verschafft sich die Jungpolitikerin Respekt in großen Altherrenrunden, von denen es ja in Rheingönheim nicht wenige gibt und für die sie eher das kleine Mädchen als die taffe Ortsvorsteherin ist? Mit ihrer Offenheit und Freundlichkeit sei sie bisher meistens gut gefahren, erzählt May. „Aber ich kann auch mal streng sein und Leute in die Schranken weisen. Braves Mädchen geht nicht immer.“ Wenn Julia May sich über Dinge ärgert, dann sagt sie das auch. Zum Beispiel im eigenen Freundeskreis, wenn es um Ressentiments gegen Politiker geht und sie ihr Engagement und ihre Arbeit erklären muss, bei der es ihrer Ansicht nach nicht um Posten und Profit, sondern darum geht, etwas zu gestalten. Unverschämt findet May Angriffe auf und Beleidigungen ihrer Person in den sozialen Netzwerken. Die machen sie fast wütend. Geschockt ist die Ortsvorsteherin gestern von dem Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft im benachbarten Limburgerhof. „So etwas macht mir Angst“, sagt sie. Die Unterbringung von Flüchtlingen werde in den nächsten Jahren ein beherrschendes Thema in Ludwigshafen sein. Für Rheingönheim will sie in naher Zukunft eine Bürgerversammlung organisieren, um die Bewohner über die Situation zu informieren und zusammen mit den Kirchen, wie andere Stadtteile auch, einen Arbeitskreis auf den Weg bringen. Dass ihr Name immer mal wieder genannt wird, wenn über die Neubesetzung wichtiger Posten in der Ludwigshafener Stadtpolitik spekuliert wird, quittiert die 30-Jährige mit einem Lächeln. Zurzeit habe sie keine Ambitionen, sei ausgelastet mit ihrer Arbeit als Anwältin, Ortsvorsteherin und Stadträtin. „Fragen Sie mich noch mal, wenn ich 50 bin.“ Dann könne sie sich vielleicht noch eine weitere Karriere vorstellen. Die Serie Seit knapp einem Jahr sind drei neue Ortsvorsteher im Amt, allesamt von der SPD. Mit Barbara Baur aus Oggersheim (6. Mai), Günther Henkel aus Friesenheim (7. Mai) und heute Julia May aus Rheingönheim haben wir eine erste Bilanz gezogen.

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