Ludwigshafen Romantisch verklärt und sozial geschärft

Das Festival „OFF//Foto“ hat sich mit einer bunten Vielfalt von Fotografen und Ausstellungsorten in der Region etabliert. Die vierte Ausgabe von 17. April bis 31. Mai 2020 soll wieder in Kooperation mit der Biennale für aktuelle Fotografie (29. Februar bis 26. April) stattfinden. Zu einem „Kick/Off-Abend“ mit einem Vortrag des Hamburger Fotografen Peter Bialobrzeski waren Interessierte in den Mannheimer Port 25 geladen.

Es kamen so viele, dass neue Stühle gestellt werden mussten. Die Teilnehmer erlebten einen Vortrag, wie man ihn sich nur wünschen kann: voll mit Information, Anschauungsmaterial und humorvollen persönlichen Statements. „Es gibt manchmal nichts Schlimmeres als Fotografen, die über ihre Arbeit sprechen“, schickte Bialobrzeski seinen Ausführungen voran. Er sei „immer auf Krawall gebürstet“ gewesen, wollte „nicht machen, was alle machen“, erläuterte er zu seinem damals kritisierten Projekt „Die erste Heimat“. Das erste Bild, das ihn als Kind beeindruckt habe, sei von Caspar David Friedrich gewesen. Deshalb wollte er „mal was Schönes“ machen, idyllische Seen mit Badenden. Ein Ostseebild mit einer einsamen Person am Strand sei dann eine „Hommage an C.D. Friedrichs Mönch am Meer“ geworden. Bialobrzeski ist seit 2002 ordentlicher Professor für Fotografie in Bremen. Er präsentierte einen chronologischen Abriss seiner Arbeit von den Anfängen bis heute. 1961 in Wolfsburg geboren, studierte er zunächst Politik und Soziologie und machte ein Volontariat bei der Zeitung in seiner Heimatstadt. Aus dieser Zeit stammt eine Fotoreportage über ein Hospiz für Aids-Kranke. Dann wandte er sich dem Studium der Fotografie zu, an der Folkwangschule in Essen, danach in London. Von dort brachte er üppig farbige Bilder von einzelnen Menschen in einer Menge mit. Zu Fotoreportagen im Auftrag des „Zeit-Magazins“ bereiste er Venezuela und die USA. Später bereiste er zahlreiche Länder in Asien; im Auftrag nur, „wenn ich machen kann, was ich will“. Die Menschen in seinen Bilden wurden immer weniger und verschwanden nahezu ganz. Nach dem Warum gefragt, nannte er sein Interesse für Strukturen als Hauptgrund. In Manila fotografierte er Behausungen in Slums, deren „Strukturen“, erklärte er, um auf der documenta bestehen könnten. Er sei zu schüchtern gewesen, um die Bewohner um einen Blick ins Innere zu bitten. Das tat er dann in Soweto. Es ist nicht die Armut, die ins Auge fällt, sondern, so Bialobrzeski, „wie wir uns organisieren und aus nichts schöne Strukturen schaffen“. Menschen hätten da nur gestört, weil sie unausweichlich den Blick auf sich lenkten. Wie findet er interessante Orte in einer fremden Stadt? Er wählt ein zentral gelegenes Hotel und erkundet das Umfeld in konzentrischen Kreisen auf der Suche nach dem, „was künstlerisch funktioniert. Dann bleibe ich stehen, guck’ da drauf und lasse alles durch mich durchgehen.“ Wenn er heute digital fotografiert, seien Schnappschüsse für ihn wie Skizzen, die der Erinnerung dienen: „Mit der Digitalkamera fotografiere ich eigentlich analog, und das Stativ ist ein Muss.“ In zehn Jahren hat er so 16 Fotobücher gemacht. Meist fotografiert er eine halbe Stunde vor und nach Sonnenauf- oder Sonnenuntergang. Doch er hat auch Aufnahmen mit langen Belichtungszeiten in nächtlich erleuchteten Städten gemacht, in denen die so nie gesehene Farbigkeit der Vegetation fasziniert. Seit 2011 verfolgte er sein Projekt „Die zweite Heimat“, nicht mit romantisch verklärtem, sondern sozial geschärftem Blick. „Die schwerste Arbeit, die ich je gemacht habe“, bekannte er. Auf dem Kunstmarkt kam sie nicht gut an, aber in den Deichtorhallen in Hamburg hatte er damit seine „schönste Ausstellung“.

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