Ludwigshafen „Ich bin in ein Loch gefallen“

Henry Hess ist ein wenig außer Atem, als er am Wochenanfang um kurz nach 10 Uhr in der Mensa der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft eintrifft. „Tut mir leid, dass ich etwas zu spät bin“, entschuldigt sich der Marketing-Student. Seine Straßenbahn sei aufgehalten worden. „Unpünktlichkeit ist sonst nicht meine Art“, versichert er glaubhaft etwas aufgeregt. Er hat ein paar dicke Ordner mit Zeugnissen und anderen Dokumenten mitgebracht, breitet sie auf den Tischen aus und setzt sich. Dann erzählt er seine Geschichte. Dass er schon 31 Jahre alt ist, sieht man dem schmalen jungen Mann mit den dunklen Haaren nicht an. Auf höchstens Mitte 20 würde man den jungenhaft wirkenden Studenten schätzen. „Ich habe wegen meiner Erkrankung etwas länger gebraucht“, berichtet er über die schulischen Stationen seines Lebenslaufs. Dass er jetzt gerade erst mit dem Marketing-Studium fertig geworden ist, erfüllt den Mannheimer erkennbar mit Stolz. Und mit der Hoffnung, dass er endlich auf eigenen Beinen stehen kann. Henry Hess kann sich eine Aufgabe im Vertrieb eines Unternehmens gut vorstellen, möglichst mit Kundenkontakt und abwechslungsreich, lautet sein Berufswunsch. Dass er an der unheilbaren Krankheit Multiple Sklerose leidet, damit musste sich Henry Hess schon als Jugendlicher abfinden. „Damals bin ich zunächst in ein Loch gefallen“, sagt er über die Zeit, als er die Diagnose erhielt. „Ich hatte Depressionen.“ Das liegt bereits über ein Jahrzehnt zurück. Henry Hess war 18 Jahre alt, als sein Arzt ihm erklärte, dass die Bewegungsprobleme, die er beim Kampfsport hatte, nicht einfach wieder verschwinden würden. Besonders schlimme Erinnerungen hat der Student an eine folgende Lymphalpunktion. Dabei werde Gehirnwasser aus dem Rückenmark gezogen, sagt er. Das sei zwar nicht so schmerzhaft gewesen, wie es heute vielleicht klinge. Aber danach sei ihm tagelang ständig sehr übel gewesen, sobald er aufgestanden sei. „Damals habe ich mir in zwei Tagen die komplette ,Star Wars’-Staffel angeschaut.“ Von dem Befund hat er sich aber nicht unterkriegen lassen. An der Mannheimer Max-Hachenburg-Schule hat der Jugendliche schließlich trotz seiner Krankheit mit viel Ehrgeiz die Fachhochschulreife geschafft. In seinem Freundeskreis habe er mit diesem Erfolg viele erstaunt, berichtet er. Schlechte Erfahrungen hat Hess dagegen zuvor mit einer Fernschule gemacht. Es ärgert den 31-Jährigen bis heute, dass er damals viel Zeit und Geld verplempert hat. Während des Studiums an der Hochschule Ludwigshafen hat der Student Verständnis und Unterstützung erlebt. Dafür ist er sehr dankbar. Aber es sei ihm auch immer wieder passiert, dass ihm andere Menschen seine Krankengeschichte nicht abkauften. Aus diesem Grund hat er auch seine Zeugnisse und andere Dokumente mitgebracht – und seinen Schwerbehindertenausweis, der ihm eine 50-prozentige Beeinträchtigung bescheinigt. Wie macht sich die Multiple Sklerose in seinem Alltag bemerkbar? „Ich leide unter einer schleichenden Form der Krankheit“, erklärt Henry Hess. Es sei zurzeit eher unwahrscheinlich, dass er einmal auf den Rollstuhl angewiesen sein werde. Aber besonders in Stresssituationen komme es vor, dass er stolpert, stürzt und sich dann auch verletzt. Für den oberflächlichen Beobachter wirke das dann einfach nur tollpatschig. Aber Schuld daran sei die MS. Zwar wünscht es sich der 31-Jährige sehr, dass er bald selbstständig wird. Aber sein Herz hängt auch an der Region und vor allem an seiner Familie in Feudenheim, die ihn stets unterstützt hat. Das Leben in dem ruhigen Mannheimer Stadtteil gefällt ihm. Hier möchte er auch in Zukunft gerne bleiben.

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