Ludwigshafen Der Welt entrückt

Elfenhaft: Meret Becker in seltsamem Kostüm und mit seltsamem Instrument im Haus.
Elfenhaft: Meret Becker in seltsamem Kostüm und mit seltsamem Instrument im Haus.

Zu behaupten, dass Meret Becker und ihre Band The Tiny Teeth im Ludwigshafener Kulturzentrum Das Haus ein Konzert mit dem Titel „Le Grand Ordinaire“ gegeben haben, wäre eine glatte Untertreibung. Die wunderbare Berlinerin und ihre Kollegen haben die begeisterten Zuhörer mitgenommen in einen Zirkus, eine Fantasiewelt, ein Reich voller Märchen und Träume, Slapstick und Blödsinn. Und das Beste? Kam zum Schluss.

Merke: Ein Konzert ist dann zu Ende, wenn das Licht im Saal angeht. Nicht eine Sekunde früher, egal, wie viele Zugaben schon gegeben worden sind. Die paar Leute, die Meret Beckers Ludwigshafener Gastspiel etwa sechs Minuten zu früh verlassen haben, müssen sich nun leider über das Verpassen des Höhepunkts grämen. Die Quatschnudel aus Berlin sang erst ein von ihrem Bruder Ben Becker gemeinsam mit Harald Juhnke getextetes Trinklied, um anschließend eine komplette Flasche Bier auf ex auszutrinken. „Das, verehrtes Publikum“, sagte sie anschließend leicht atemlos unter dem Jubel desselben, „ist in meiner Familie eine Frage der Ehre.“ So persönlich war Meret Becker während ihres ganzen, knapp zwei Stunden dauernden Auftritts nicht einmal geworden. Kein „Guten Abend, Ludwigshafen“, keine Plaudereien mit dem Publikum. Die meiste Zeit über schien sie sich in ihrer eigenen Fantasiewelt zu befinden, allen Umständen entrückt, ganz im Hier und Jetzt. Nur einmal musste sie kichern, als es im Saal wegen eines umgeworfenen Glases laut schepperte, während sie gerade „La vie en rose“ gurgelte. Ja, richtig, sie gurgelte „La vie en rose“, und sie gurgelte es – Showprofi, der sie ist – trotz der Störung konsequent zu Ende. Es war längst nicht der einzige Quatsch. Gemeinsam mit ihren vier Bandkollegen bugsierte sie mit Hilfe eines Föns einen Jahrmarkthund samt Leine durch einen Hula-Hoop-Reifen, blies in eine riesige Muschel und rief durch ein Megafon. Sie erzeugte klirrende, scherbenartige Klänge, hatte einen natürlich auf den Namen Harvey hörenden Kuschelhasen dabei und warf Glitter und Blumen in die Luft und ins Publikum. Meret Beckers Auftritt war Theater und Varieté, Zirkusshow und Musical, und nur in ganz wenigen Momenten hatte es den Anschein eines ganz normalen Konzerts. „Deins & Done“ heißt das Album, das Meret Becker vor vier Jahren veröffentlicht hat – ein neues, kündigte sie verschmitzt an, werde kommen, sobald es verkauft sei. Es finden sich Songs in deutscher und englischer Sprache und in einem merkwürdigen Mischmasch darauf, Tom-Waits-Cover, Gehauchtes, Piepsiges, Zartes. Zu den seltsamen Texten, die sie in ihrer eigenen, nicht besonders schönen, aber faszinierenden Stimme sang und sprach, kamen beim Live-Auftritt die seltsamen Requisiten („Alles, was hier liegt, gehört uns, auch wenn es aussieht wie Müll“), die seltsamen Instrumente, die seltsamen Kostüme. Wie sie im brautkleidähnlichen Fummel und später im weißen Wollmantel zu knallroten Schuhen auf der Bühne saß, hatte Meret Becker etwas von einer Fee. Oder einer Elfe. Welcher Traumwelt sie genau entsprungen ist, blieb schleierhaft. Und dann machte sie plötzlich ganz klassische Countrymusik mit dem dank Westernhut und Brille original wie J. R. Ewing aussehenden Gitarristen Buddy Sacher, der seit 20 Jahren ein enger Freund Meret Beckers ist. Kurze Zeit später trällerte sie etwas mit einem Hauch Melancholie versehenes Französisches, gefolgt von einer ganz reizenden Vorstellung der Band, in der ein Musiker „Enteninstrumente“ spielt – sie meinte Schnabelinstrumente. Über sich selbst sagte die 49-Jährige nur, sie heiße Meret und das werde manchmal falsch ausgesprochen, nämlich so wie in „Mehret euch“. Mehr erzählte sie nicht. Kein weiteres Wort über ihre Künstlerfamilie, über ihre Arbeit als „Tatort“-Kommissarin, über die stets ein bisschen schräge Kunst, die sie seit Jahrzehnten macht. Manches an ihrem Auftritt mag etwas exaltiert gewesen sein, manches extravagant. Aber eins ist sicher: Als Meret Becker, mit einem ganzen Bier im Bauch, von der Bühne verschwunden war, da hat die Welt plötzlich wieder etwas weniger geglitzert und ist wieder ein ganzes Stück trister und grauer geworden.

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