Landau Nach Vereinsaufgabe ist Elwetrittche-Brauchtum in Gefahr

Die Böchinger Hangtrittche steht auf einem Platz in Böchingen, von Godramstein kommend.
Die Böchinger Hangtrittche steht auf einem Platz in Böchingen, von Godramstein kommend.

Die Elwetrittche zählt zum Pfälzer Brauchtum wie Worschd un Woi. Doch wer soll nun um das scheue Tier kümmern? Denn der letzte Elwetrittche-Verein hat den Sack zugemacht.

Vor vielen Jahren noch hat jedes Kind in der Pfalz gewusst, was Elwetrittche sind und dass zur Jagd nach ihnen – trittch, trittch, uiuiuiuiuiui – Laterne und Sack unerlässlich sind. Der Künstler Gernot Rumpf hat ihnen mit einem prächtigen Brunnen 1978 in Neustadt ein Denkmal gesetzt. Bald werden sich Naturschutzorganisationen des Fabeltiers annehmen müssen, denn es gibt nach Kenntnis des Landauers Wilhelm Hauth in der Pfalz keine Interessensvertretung mehr. Der Vorsitzende des 1982 gegründeten Elwetrittche-Vereins Landau hat den Verein abgemeldet. Der hatte zwar mit 140 Köpfen noch eine ansprechende Mitgliederschar, konnte aber nach Hauths Rückzug aus gesundheitlichen Gründen keinen neuen Vorstand aufbieten. Aus Altersgründen hatte noch vor Corona der Elwetritsche-Förderverein in Dahn das Zeitliche gesegnet. Auch das Elwetrittche-Museum in Speyer hat die Pforten geschlossen.

Die Böchinger Hangtrittche steht auf einem Platz in Böchingen, von Godramstein kommend.
Die Böchinger Hangtrittche steht auf einem Platz in Böchingen, von Godramstein kommend.
Wilhelm Hauth, Vorsitzender des Elwetrittche-Vereins seit 2003, am Stand der Landesgartenschau 2015.
Wilhelm Hauth, Vorsitzender des Elwetrittche-Vereins seit 2003, am Stand der Landesgartenschau 2015.
Auslage im Dahner Büro für Tourismus mit Kräutertrunk und Elwetrittche-Figuren.
Auslage im Dahner Büro für Tourismus mit Kräutertrunk und Elwetrittche-Figuren.
Den Elwetritsche-Kräutertrunk gibt es bei der VG Dahn, die kleinen Flaschen zu 5,50 Euro.
Den Elwetritsche-Kräutertrunk gibt es bei der VG Dahn, die kleinen Flaschen zu 5,50 Euro.
2018 haben Schüler der Berufsbildenden Schule 14 Elwetrittche aus Metall geschaffen, die zugunsten des Hospiz-Fördervereins vers
2018 haben Schüler der Berufsbildenden Schule 14 Elwetrittche aus Metall geschaffen, die zugunsten des Hospiz-Fördervereins versteigert wurden.
2012 wimmelte es bei der Sparkasse nur so von Trittche: Am Kreativwettbewerb des Vereins »Wie sieht se aus, die Trittch?« hatte
2012 wimmelte es bei der Sparkasse nur so von Trittche: Am Kreativwettbewerb des Vereins „Wie sieht se aus, die Trittch?“ hatten sich 181 Bürger beteiligt. Hier der Beitrag von Theo Quell aus Edenkoben.
Der Elwetrittche-Verein Landau überreichte dem SPD-Bundestagsabgeordneten Thomas Hitschler im November 2018 die Miniatur einer "
Der Elwetrittche-Verein Landau überreichte dem SPD-Bundestagsabgeordneten Thomas Hitschler im November 2018 die Miniatur einer „Bundestrittche“, geschaffen von Theo Quell aus Edenkoben.
Die durstige Queichtaltrittche stürzt sich 2018 beim Stammtisch des Landauer Elwetrittche-Vereins auf die Rieslingschorle.
Die durstige Queichtaltrittche stürzt sich 2018 beim Stammtisch des Landauer Elwetrittche-Vereins auf die Rieslingschorle.
August Espenschied (1925 bis 1986), genannt Gust oder Guscht, mit Lampe und Sack bei der Elwetritschejagd.
August Espenschied (1925 bis 1986), genannt Gust oder Guscht, mit Lampe und Sack bei der Elwetritschejagd.
Hans Blinn (links) und August Espenschied, die Aufnahme stammt aus dem Fotoalbum im Nachlass Blinn.
Hans Blinn (links) und August Espenschied, die Aufnahme stammt aus dem Fotoalbum im Nachlass Blinn.
Wilhelm Hauth (links) hat über 100 Elwetrittche-Jagden in Rheinland-Pfalz organisiert, immer auf Anfrage, hier in Speyer.
Wilhelm Hauth (links) hat über 100 Elwetrittche-Jagden in Rheinland-Pfalz organisiert, immer auf Anfrage, hier in Speyer.

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Das ist nicht das Ende des vogelähnlichen Wesens. Denn eine respektable Population der großfüßigen Wasgauer Urtrittche, lateinisch in pino palatina trittche bisex, bevölkert noch das Dahner Felsenland, wie Experte Hauth weiß. Der damalige Landauer Bürgermeister Hans-Dieter Schlimmer hat den heute 74-Jährigen vor zwölf Jahren zum Professor der Trittchologie ernannt. Über Jahrzehnte war er engagierter Botschafter des Brauchtums, zuletzt 21 Jahre an der Spitze des Vereins. Laut Hauth existieren in Rheinland-Pfalz 26 Arten der Spezies.

Im Urland der Trittche, dem Dahner Felsenland, gilt August „Gust“ oder „Guscht“ Espenschied als Vater der Wissenschaft der Tritschologie und als Tritschenpapst. Im Eifer mindestens ebenbürtig war ihm der Landauer Hans Blinn. Beide Männer waren eng befreundet, berichtet Blinns Sohn Hans-Jürgen Blinn. Er hütet den Nachlass des 2006 verstorbenen, promovierten Lehrers, Verlegers, Komponisten und Politikers, der ein Fotoalbum über Aktionen des Vereins sowie einige Bücher umfasst. Blinn gründete zu Ehren des „Nationalheiligtums“ 1982 mit Wolfgang Diehl, Walter Jäckle, Ferdinand Macher, Werner Scharhag, Christian Schmidt und Heinz Steiner den Landauer Elwetrittche-Verein. Ursprünglich als Stammtisch im Traditionslokal „Raddegaggl“ gedacht, wuchs sich das Ansinnen aus – und damit auch die Präsenz der Elwetrittche.

Was ist eine Elwetrittche? Abgesehen davon, dass sich die Wissenschaft bei der Schreibweise uneins ist, scheint das Fabeltier schwer greifbar. Hühnerähnlich, heißt es, kann es seine Flügel kaum gebrauchen und ist deshalb zwischen Kobolden und Feen größtenteils im Unterholz unterwegs. Der Schnabel ist mitunter lang, manches Getier hat Geweih oder Brüste. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Auch der Maler Max Slevogt (1868 bis 1932) konnte sich dem nicht entziehen. Von ihm soll die erste künstlerische Darstellung einer Elwetrittche um 1925 für einen Gedichtband von Eugen Fried stammen. Auch Fried (1880 bis 1974) wusste, wie der Nationalvogel aussieht: „Viel schwärzer wie bei Krapp und Kräh un größer sinn ihr Fliggel, un Kralle hänn se an de Zeh noch länger wie e Iggel. Un um die schwarze Aage rum schtehn Feddre, mächtig große, un ihren Schnawwel, breet un krumm, benutzen se zum Schtoße. Schtelzbeenig sinn se wie e Schtorch un wie e Marabu, dorch Mark un Penning geht der’s dorch, hörscht nachts ihrm Kreische zu.“

Wo kam das Wesen her? Die Experten sind überzeugt, es hat die Eiszeit überstanden – und: das Ei war zuerst da und nicht die Henne. Die Trittche wird nie aussterben, versichern die Kenner, da sie durch Regenerationsfraß und Autosuggestion immer wieder ihr Erbgut erneuert und weitergibt.

Dass die Existenz des geheimnisvollen Tiers von Nichtpfälzern angezweifelt wird, erklärte Hans Blinn einst damit, dass damit lediglich das Ansehen der Pfalz und der Pfälzer herabgesetzt werden solle. „Die Behauptung, wir Pfälzer würden dieses Tier erst bei einem Blutalkoholspiegel von vier Promille sehen, ist reine Verleumdung.“

Populär war die Jagd auf Elwetrittche mit Hilfe einer Laterne und eines Sacks. Bis zur Corona-Pandemie legten sich auf Einladung des Hotels Eyberg in Dahn noch einige Touristen in der Südwestpfalz auf die Lauer, wie Anette Lang, Leiterin des Büros für Tourismus bei der Verbandsgemeinde Dahn zu berichten weiß.

Ob sich die Elwetrittche und der Wolpertinger, ein sagenumwobenes bayrisches Fabeltier, je begegnet sind, zumal die Pfalz lange in bayrischer Hand war, ist nicht überliefert. Im Blinnschen Nachlass findet sich aber eine Telefonkarte mit einem Guthaben über 6 DM, auf der sich Trittch und Wolpertinger mit Wein und Bier zuprosten. Er hat es in den Duden geschafft, sie nicht. „Die Duden-Redaktion hat angesichts der orthografischen Vielfalt die Segel gestrichen“, erzählt Wilhelm Hauth.

Das Wirken des rührigen Landauer Vereins ist fast lückenlos dokumentiert und soll dem Stadtarchiv übergeben werden. Zu finden sind viele Erinnerungen an die Sturm- und Drang-Periode der Trittchen-Getreuen. Unter anderem reiste in den ersten Jahren nach der Gründung eine Delegation nach Rom, um sich auf dem Petersplatz den Segen des Papstes abzuholen. Es gab Elwetrittche-Nudeln und Eier sowie Pralinen aus Konditoren-Hand, Landwein, Zigarillos, Postkarten, eine Schallplatte, Rezeptsammlungen, Lyrikbände und Bücher sowie Wettbewerbe und anderes mehr.

Seit 2003 haben drei Vertreter der seltsamen heimischen Tierart ein lauschiges Plätzchen im weltweit einzigartigen Elwetrittche-Gehege im Landauer Zoo gefunden, die Prachttrittche, die Burgundertrittche und die Haardter Hangtrittche. Die Spezies war bei der Landesgartenschau 2015 am Stand des Vereins zu bewundern. Viel früher, nämlich am 13. März 1983 haben Hans Blinn und seine Mitstreiter den Landauer Sommertagsumzug wiederbelebt. Auch die Büste von Thomas Nast im Foyers des Rathauses verdanken die Landauer den Spaß-Vögeln. 1994 entstand unter Förderung des Vereins das Landauer Kutschen-Kabinett und steuerte auch zwei Exponate bei.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Thomas Hitschler aus Frankweiler machte den Spaß mit, als ihm 2018 ein Modell der Bundestrittche überreicht wurde. Hitschler hatte sich ein Jahr zuvor einen Aprilscherz erlaubt und angeregt, den Bundesadler im Plenarsaal des Deutschen Bundestags in Berlin, genannt „Fette Henne“, durch eine Elwetrittche zu ersetzen.

Dahn hat einen Karnevalverein „Elwetritsche“ zu bieten. Und den berühmten Elwetritsche-Lehrpfad am Haus des Gastes im Kurpark, der in den Wanderweg Elwetritscheweg mündet. Wie Wilhelm Hauth verrät, ist dort für den zweiten Teil des Films „Hiwwe wie driwwe“ gedreht worden, der am 14. April in Landau Weltpremiere feiert.

Der etwa zehn Kilometer lange Rundwanderweg zählt sieben Stationen und führt unter anderem am Nist- und Balzplatz der Elwetritsche vorbei. Der damalige Cheftritschologe Alfred Frischbier war bei der Eröffnung des Lehrpfads im Mai 2000 besonders gelobt worden, weil es ihm gelungen sei, „mit einem wissenschaftlich ausgefeilten Text und klaren Bildern auch den Ungläubigen diese Wissenschaft näher zu bringen“.

Die Wirkung scheint anzuhalten, denn Tafel und Weg würden gut angenommen, berichtet Anette Lang. „Der Fabelvogel bei uns lebt.“ Das Büro für Tourismus der Verbandsgemeinde Dahn verkauft Elwetritsche-Figuren und -Kräutertrunk, alles Restbestände aus dem ehemaligen Haus Gemüse-Laux.

Wo tritt das Fabelwesen noch in Erscheinung? Wilhelm Hauth erinnert an eine tonnenschwere Riesen-Granit-Skulptur einer Wasgautrittche an der Wieslauterbrücke in Dahn nach dem zweiten Kreisel. Im Pollichia Naturkundemuseum in Bad Dürkheim gibt es eine Vitrine mit Fangutensilien und einer ausgestopften Elwetrittche, in Erfweiler bei Dahn einen Gedenkstein zur Geburtsstätte der Wasgautrittche. In Böchingen steht am Ortseingang von Godramstein kommend eine Plastik der Böchinger Hangtrittche, im Volksmund Keschdetritsch sowie eine Bürgermeistertrittche vor dem Heimatmuseum, beide geschaffen von Theo Quell aus Edenkoben. In Hayna gibt es einen Brunnen mit Tabaktrittche, in Otterstadt einen Brunnen mit Ottertrittche. Im Hauensteiner Schuhmuseum ist die Zwicktritsche zu bewundern, in Wallhalben-Kneispersmühle die elf Zentner schwere Skulptur der Grumbeertrittche und in Kaiserslautern im Tierpark Siegelbach Bronze-Plastiken der Gamstrittche von Professor Gernot Rumpf.

Vermerkt sei am Rande: Hätte nicht das Landauer Amtsgericht als Hüter über das Vereinsgesetz den Elwetrittche-Freunden einen Strich durch die Rechnung gemacht, hätte es nun um das Brauchtum besser bestellt sein können. Denn nach Hauths Rücktritt 2022 hatte sich in letzter Sekunde vor der Auflösung ein kompletter Neuvorstand formiert, um den Verein nicht untergehen zu lassen. Aus purer Freude wählten die Mitglieder die Führung en bloc. Ein verhängnisvoller Fehler, wie sich zeigen sollte: Die Wahl wurde aus formalen Gründen nicht anerkannt. Über jeden Posten hätte einzeln abgestimmt werden müssen. Der alte Vorstand war reinstalliert, den designierten Nachfolgern ging die Luft aus. Indirekt also verdankt die Elwetrittche den deutschen Vereinsrichtlinien, dass sie fortan unbehelligt durch den Pfälzerwald streifen kann.

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