Kultur Südpfalz Eine gewisse Vermessenheit beim Schreiben

Der 30-jährige Björn Hayer ist Dozent an der Universität Landau
Der 30-jährige Björn Hayer ist Dozent an der Universität Landau

„Melancholie und Hoffnung“ ist der Titel und gleichzeitig der Spannungsbogen, in dem Björn Hayer, Dozent an der Universität Landau, seine Essays zu Gesellschaft und Kultur entfaltet.

Die Gedankensammlung umfasst über 50 Studien, die das Große und Ganze im Blick haben, ohne dabei den Blick in die Tiefen, ja sogar in Abgründe von Kultur, Politik und Gesellschaft zu versäumen. Gleich einem Perlentaucher findet er diese Tiefen und Abgründe bei Streifzügen durch die Welt des Films und der Literatur. Tatsächlich genügt es Literatur- und Kulturwissenschaftler Hayer nicht, zahm und gefällig an der Oberfläche des menschlichen Seins zu kratzen. Wie bereits das Cover des Buches, eine Malerei des Landauer Künstlers Dominik Schmitt, verrät, geht es ihm vielmehr um einen Blick hinter die Maske eitlen Scheins. Alles andere widerspräche Hayers Selbstverständnis als Kritiker und Essayist, als der er sich schon beiTageszeitungen und Magazine, unter anderem Die Welt, Spiegel und Zeit Online, einen Namen gemacht. In feinsinniger wie schöngeistiger Sprache und trotzdem mit der Präzision eines Skalpells nähert sich Hayer der Komplexität der heutigen Lebenswelt und Kultur. Das Spektrum ist hierbei entsprechend weitgefächert und bedarf, dies räumt der 30-Jährige selbst ein, eine gewisse Vermessenheit beim Schreiben. Nichtsdestotrotz legt er zielsicher den Finger in die Wunden seiner Zeit. Er deckt Widerstände und Konflikte auf und stellt sich der hieraus resultierenden Spannung. Der erste Abschnitt der viergliedrigen Sammlung ist dementsprechend ganz den virulenten Krisen und Krankheiten unserer Gesellschaft gewidmet. Hayer übt etwa Kritik an der Skandalgesellschaft, legt das Fieber nach Perfektion oder die Schattenseiten unseres angeblichen Konsumparadieses offen. Im nächsten Überkapitel „Signaturen und Symptome“ schürft der Essayist noch tiefer. „In Gottes Mülleimer“ reflektiert er etwa über die Darstellung der Unterschicht in der Gegenwartsliteratur. Bei „Männerbünde in der Anarchie“ analysiert Björn Hayer das Gender-Dilemma im aktuellen Western. „Auf immer aus der Zeit gefallen?“ ist dem Reiz des Vampirmythos gewidmet, der gerade in der jüngsten Zeit im Kino und in Serien im Fernsehen ein wahres Comeback feierte. Augenscheinlich unterscheiden sich die thematischen Schwerpunkte stark voneinander, aber entsprechend des Anspruchs des Autors ist ihnen eines gemein: der Blick durch die Historie. Dem promovierten Germanisten gelingt es die Fugen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausfindig zu machen und etwaige Strömungen damit offenzulegen. Nachdem Hayer die Krisen unserer Zeit in gewisser Weise diagnostiziert hat, bergen die letzten beiden Überkapitel „Utopien und Umbrüche“ sowie „Liebeserklärungen“ therapeutische Ansätze. Mannigfaltig zeigt Hayer auf, dass die Utopie in der Literatur, im Film und in Kunst beheimatet ist. Aus diesem Grund sieht er dort auch Entwürfe für mögliche Umbrüche der Zukunft. Nach dem Appell zur Umwälzung der vorgefundenen Realität schlägt Björn Hayer einen sanfteren Ton an. Die Texte zu Marguerite Duras oder Orson Welles zeugen beispielsweise von tiefer Bewunderung und Anerkennung der Verdienste der beiden Künstler. So findet die oft streitbare Schrift im letzten Teil einen versöhnlichen Ausklang. Hayer sucht damit offenkundig die Extreme, und zwar nicht nur bei der Wahl seiner Themen, sondern auch im Duktus seines Schreibens. Leichte Kost ist die Sammlung damit keinesfalls, aber äußerst lebenswert unbedingt. Lesezeichen Björn Hayer, Melancholie und Hoffnung – Essays zu Gesellschaft und Kultur, 194 Seiten, Tectum Verlag, 2017

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