Kusel Leitartikel: Wider die Parolen

Überraschen konnte die gestrige Entscheidung niemanden mehr. Zu deutlich hatte sich zweierlei abgezeichnet. Erstens: dass die Flüchtlingszahlen durch die vielen Bürgerkriege deutlich steigen und das Land mit seinen zwei, bald (mit Hermeskeil) drei Erstaufnahmeeinrichtungen nicht mehr hinkommen wird. Zweitens: dass in Kusel eine große Kaserne leer- und in relativ gutem Zustand herumsteht, für die es derzeit nicht wirklich eine andere Nutzung gibt. Natürlich bereitet ein Fakt ein wenig Bauchgrimmen – das Zahlenverhältnis. 500 bis 700 Flüchtlinge in einem Städtchen mit weniger als 5000 Einwohnern – ist das wirklich eine kluge Wahl? Vermutlich ließe sich eine solche Einrichtung mit ihren Bewohnern in einer größeren Stadt besser integrieren. Doch ebenso vermutlich reicht dem Land in Sachen Erstunterbringung das Wasser bis zum Hals. Viele Alternativen mit gleichwertiger baulicher Ausstattung und damit niedrigen Investitionskosten stehen nicht zur Verfügung. Schon gar nicht in Städten. Doch die Region wird in vielfacher Hinsicht von der Einrichtung profitieren. Beispiel: Wasserpreise und Abwassergebühren. Denn die Kaserne – genauer: ihre künftigen Bewohner – als Abnehmer trägt ihren Teil dazu bei, die Fixkosten für die Infrastruktur auf mehr Schultern zu verteilen. Beispiel: Kaufkraft. Die Flüchtlinge erhalten ein Taschengeld. Und da sie nicht auf dem Windhof kaserniert werden, kommen sie in die Stadt und werden ihre paar Euro auch ausgeben. Das ist vielleicht kein Vergleich zu dem, was die Soldaten früher in Geschäften ausgegeben haben. Aber es ist allemal besser als nichts. Es entstehen Arbeitsplätze. Natürlich nicht so viele, wie wenn ein Großunternehmen sich in Kusel ansiedeln würde. Nur: Ein solches ist weit und breit nicht in Sicht; und auch keine staatliche/halbstaatliche Einrichtung mit jeder Menge Jobs, die es auf absehbare Zeit auf den Windhof zieht. Wer anderes glaubt, der träumt. Da nimmt man in einer strukturschwachen Region gerne die 40, 60 oder 80 Arbeitsplätze, die die Einrichtung mit sich bringt. Die Stadt wird in Sachen Förderung wohlwollend bedacht. Kusel hilft dem Land, das Land wird sich erkenntlich zeigen. Sogar für das Veldenz-Schloss Lauterecken steigen die Chancen. Denn das Land wird alles tun, um dem ohnedies falschen Eindruck entgegenzuwirken, weil Geld in die Kuseler Kaserne gesteckt wird, wäre nichts mehr für den Rest des Kreises da. Dennoch: All das wird die Kritiker nicht überzeugen. Jene, die glauben, Flüchtlinge kämen aus Spaß an der Freud’ hierher, nur um anderen etwas wegzunehmen. Diese Stimmen gibt es, leider, auch in unserer Region zuhauf. Wer sich seit Januar auf den sozialen Netzwerken umgeschaut hat, konnte teilweise nur den Kopf schütteln über dort geäußerten Ängste, vor allem aber über die Anfeindungen. Das Land, noch mehr die Kommunalpolitik, hat in den nächsten Monaten vor allem eine Aufgabe: mit Informationen dem Halb- und Nichtwissen entgegenzutreten, das den Ängsten zu Grunde liegt, und so den Stammtischparolen das Wasser abzugraben. Damit die Region nicht nur ihrem Prädikat als „toleranter Landkreis“ alle Ehre macht, sondern auch ein guter Gastgeber für Menschen ist, die großes Leid erfahren haben.

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