Freisbach/Kreis Germersheim Rücktritte aus Protest: Warum Freisbach nicht überall ist

Leere Taschen - traurige Realität für über die Hälfte der Gemeinde in Rheinland-Pfalzv - und für fast alle im Kreis Germersheim.
Leere Taschen - traurige Realität für über die Hälfte der Gemeinde in Rheinland-Pfalzv - und für fast alle im Kreis Germersheim.

Weitermachen trotz leerer Kassen: Freisbach darf es nicht, drei andere Gemeinden im Kreis aber schon. Landesweit waren es wohl noch mehr. Das steckt dahinter.

Ebbe in der Gemeindekasse – das ist in vielen Orten kommunalpolitischer Alltag seit gefühlt Jahrzehnten. Bis zum Frühjahr konnten auch in Rheinland-Pfalz die meisten Gemeinden trotzdem weiter wirtschaften: Ein Defizit alleine war kein Grund für die Kreisverwaltungen, einen Haushalt nicht zu genehmigen. Das änderte sich Anfang Mai – aber doch nicht ganz.

Vorausgegangen war ein Entschuldungsprogramm (Volumen: 3 Milliarden Euro), mit dem das Land einen guten Teil der kurzfristig aufgenommenen Schulden der Kommunen übernahm. Davon profitierten nicht alle Gemeinden gleichermaßen, sondern vor allem die, die ihre täglichen Ausgaben nicht mehr aus eigener Kraft bezahlen konnten. Nach Zahlen der Landesregierung soll Jockgrim beispielsweise 6,6 Millionen Euro erhalten, Germersheim 4,2 Millionen Euro, Hagenbach 1,3 Millionen Euro, Kandel hingegen nur 123.000 Euro und Wörth nichts.

Aufnahme neuer Kredite erschwert

Vor diesem Hintergrund wollte – quasi im nächsten Schritt – Innenminister Ebling (SPD) offenbar die Aufnahme neuer kurzfristiger Kredite erschweren. Mit einem Rundschreiben vom 6. Mai setzte er die Hürden für die Genehmigung eines neuen defizitären Haushalts sehr hoch: Ausnahmen vom Gebot des Haushaltsausgleichs seien in der Gemeindeordnung nicht vorgesehen, schreibt Ebling. Sie seien allenfalls bei Naturkatastrophen oder ähnlichem denkbar – aber auch dann sei ein Haushalt streng zu prüfen.

„Hast du mal einen Euro?“ – Betteln ist für die Kommunen keine Alternative.
»Hast du mal einen Euro?« – Betteln ist für die Kommunen keine Alternative.

Schreiben erweist sich als katastrophal

Das Schreiben erwies sich aber selbst als katastrophal: Denn es kann für die Finanzen einer Gemeinde gravierende Folgen haben, wenn ein Haushalt nicht genehmigt wird. Dann gelten beispielsweise für Gemeindesteuern und Personalschlüssel die Zahlen des alten Haushaltes. Hat also ein Gemeinderat – wie vom Land gefordert – die Gemeindesteuern erhöht oder das Personal für die – vom Landesgesetz geforderte – neue Kita eingeplant, dann kommen diese Änderungen nicht zum Tragen.

Kita bleibt im Extremfall zu

Die Folge: Die Gemeinde nimmt weiter weniger Geld ein, die Kita bleibt im Extremfall zu. Es geschieht also genau das Gegenteil von dem, was das Land eigentlich will. Bis Anfang August tat sich aber nichts mehr. Zumindest an der Oberfläche. Ein Grund: Offenbar genehmigten viele Landräte dennoch wie in der Vergangenheit weiter defizitäre Haushalte – ob sie das Schreiben des Ministers als bloßen Hinweis in den Wind schlugen oder vor allem noch höheren Schaden von den Gemeinden abwenden wollten, bleibt wohl ihr (Dienst)Geheimnis.

Wenn beim Kassensturz nichts mehr klingelt: Die Gemeindekasse ist leer.
Wenn beim Kassensturz nichts mehr klingelt: Die Gemeindekasse ist leer.

Es blieb also zumindest für die Öffentlichkeit ruhig, bis dann Anfang August – mitten im tiefsten Sommerloch – in Freisbach Gemeinderat und Bürgermeister geschlossen zurücktraten. Der Grund: Die Kreisverwaltung hatte den defizitären Haushaltsentwurf der Gemeinde nicht genehmigt. Beim öffentlichen Rücktritt in der Kultur- und Sporthalle stand Landrat Fritz Brechtel (CDU) unter den Zuschauern und applaudierte.

Haushalte trotz Defiziten genehmigt

Die Haushalte von Steinweiler, Winden und Kuhardt wurden hingegen im gleichen Zeitraum trotz Defiziten genehmigt, bestätigt die Kreisverwaltung auf Anfrage der RHEINPFALZ. „Im Unterschied zu Freisbach konnten diese Gemeinden noch Maßnahmen zum Erreichen eines Haushaltsausgleichs beziehungsweise mindestens für eine deutliche Verbesserung darstellen“, heißt es zur Begründung. Im Haushaltsplan von Freisbach wurden dagegen innerhalb der gesetzlich vorgegeben Frist keine ähnlichen Verbesserungen eingereicht, zum Beispiel Steuererhöhungen.

Steinweiler musste beispielsweise auf Aufforderung der Kommunalaufsicht bei der Kreisverwaltung darstellen, wie das Ziel des Haushaltsausgleichs erreicht beziehungsweise wie eine Verbesserung oder zumindest keine weitere Verschlechterung der dauernden finanziellen Leistungsfähigkeit gewährleistet wird.

Haushaltsplan überarbeitet

Daraufhin habe Steinweiler den Haushaltsplan überarbeitet, erläutert die Kreisverwaltung. Eingeplant wurden unter anderem Grundstückserlöse und Zuweisungen vom Land. Damit erreichte Steinweiler für 2023 einen Jahresüberschuss. 2024 verringerte sich das Defizit auf einen geringen Betrag. Steinweiler erwartet jedoch nach Steuerhochrechnungen einen Haushaltausgleich. Der Haushalt wurde danach genehmigt – unter Vorbehalt: sämtliche Investitionskredite für einzelne Maßnahmen unterliegen der Einzelprüfung. Ansonsten verwaltet die Ortsgemeinde Steinweiler seinen Haushalt uneingeschränkt weiter.

Freisbach ging einen anderen Weg

In Freisbach wurde ein anderer Weg gegangen. Der Grund: Die Gemeinde hat als Wohn- und Schlafort eigentlich keine Chance, jemals ihren Haushalt wieder auszugleichen. Logischerweise war die Hauptforderung von Landrat Brechtel in Gesprächen mit den Landesbehörden, dass die Gemeinden mehr Geld vom Land bekommen müssen, um die vom Land gestellten Aufgaben bewältigen zu können. Um die Kuh fürs Erste vom Eis zu holen, müsste der Minister sein Rundschreiben von Anfang Mai zurücknehmen, so Brechtel.

Minister rudert zurück

Minister Ebling ist dann auch Mitte September zurück gerudert, der Freisbacher Haushalt kann vielleicht wieder genehmigt werden. Eblings Begründung war aber nicht die bundesweite Aufmerksamkeit, die die Freisbacher Rücktritte erhalten hatten. Vielmehr hieß es jetzt, ein Haushaltsausgleich sei kein Selbstzweck, nötig seien „Augenmaß und Blick auf die individuelle Situation der Kommune“: „Hier gibt und gab es erkennbare Unterschiede bei der Handhabung durch die Aufsichtsbehörden“, so Ebling.

„Gemeinden auf gutem Weg“

Ansonsten sah Ebling die allgemeine Entwicklung der Gemeindefinanzen auf einem guten Weg. Einer Mitteilung des Gemeinde- und Städtebundes Rheinland-Pfalz vom August entnahm er, dass etwa 90 Prozent der Gemeinden ihre Haushalte, gegebenenfalls mit Auflagen (wie Steinweiler, Anmerkung der Redaktion), vollziehen können. „Das ist es ein Schritt in die richtige Richtung“, so der Minister.

Vom Ziel noch weit entfernt

Wie weit das Ziel – ausgeglichene Gemeindehaushalte – noch entfernt ist, zeigt eine andere Zahl, ebenfalls vom Städte- und Gemeindebund: Etwa 45 Prozent der Gemeinden konnte einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen (Landkreis Germersheim: nur 10 Prozent!). Bei den allermeisten anderen (etwa 55 Prozent) erlaubte die finanzielle Lage – ähnlich wie in Steinweiler – trotz Defizit eine Genehmigung mit Auflage.

Bei 279 Gemeinden war zum Zeitpunkt der Umfrage (August) noch offen, wie es weitergeht: sie befanden sich in der vorläufigen oder auch Not-Haushaltsführung. Weitere Fälle wie Freisbach wurden bisher aber öffentlich nicht bekannt.

x