Kreis Germersheim Neues Leben in alter Bude

„Was ist denn heute hier los?“, werden sich am Samstagvormittag Leute gefragt haben, die an der Hauptstraße 110 vorbeigingen. Im Hof dort herrschte Leben, obwohl das Haus schon seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr bewohnt war.

Eingeladen in das alte Fachwerkhaus hatte die Immobilienmaklerin Ursula Mueller aus Hördt, die das Fachwerkhaus erworben hat. So konnten interessierte Bürger vor Beginn der Sanierungsarbeiten das historische Gebäude nochmals begehen. An den Wänden, Böden und Stiegen konnten die Besucher studieren, wie vor rund 275 Jahren gebaut wurde. Die diplomierte Designerin Mueller zeigte im Hausinnern in den letzten Monaten entstandene Fotografien, auf denen der Stand des Hauses vor der Sanierung festgehalten ist. Bürgermeister Günther Tielebörger zeigte sich bei der Begehung erfreut, dass ein Fachwerkhaus in der Hauptstraße erhalten und fachgerecht saniert und restauriert werde, prägten doch vor allem Fachwerkhäuser das Kandeler Stadtbild. Erfreut war auch Hobbyhistoriker Werner Esser, weil „ein Schandfleck in der Stadt“, so seine Äußerungen bei Stadtführungen, bald verschwinden wird. In einer kurzen Rede ging Esser auf die Geschichte des Hauses ein. Erbaut wurde es demnach im Jahr 1729. Es war dies eine verhältnismäßig ruhige Zeit, in der in Kandel nach einer langen Kriegszeit eifrig gebaut wurde. Bauherren waren, wie auf der Hausinschrift festgehalten, Georg Michael Stoll und seine Ehefrau Anna Catherine Stollin. Das Wagenrad, das bei der Inschrift zu sehen ist, weißt auf den Beruf des 1688 geborenen Bauherren hin: Er war Wagner. Im Haus muss es recht lebhaft zugegangen sein, gehörten beim Einzug acht Kinder zur Familie und drei weitere wurden dort noch geboren. Später ging das Haus in den Besitz des Färbers Franz Anton Mackert über. Er war der Urenkel eines Bruders des Erbauers. Zum Anwesen gehörten damals, wie dem „Saal- und Lagerbuch“ der Gemeinde „Langen-Kandel mit Minderslachen und Höffen“ zu entnehmen ist, neben dem Wohnhaus noch ein Anbau, Backofen, Schuppen, Ställe, Scheune und Waschraum sowie ein Brunnen. Ursula Mueller hat schon mehrfach historische Bauten in Baden-Württemberg und der Pfalz saniert und mitgestaltet. Das Anwesen in Kandel sei für sie jedoch etwas Besonderes. Sie werde als Investorin „einen gemeinsamen Weg mit dem Haus gehen.“ Im Erdgeschoss ist ein Verkaufsladen vorgesehen. Im Obergeschoss soll eine 95 Quadratmeter große Wohnung entstehen. Eine Zweite mit separater Treppe und Eingang im Hof ist im Anbau geplant. (wm)

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