Kreis Bad Duerkheim „Ich bin ein Kompositum“

Der „anatolische Pfälzer“ Hasan Özdemir, einer der bekanntesten deutschsprachigen Lyriker türkischer Abstammung, liest morgen in der evangelischen Kreuzkirche in Neuleiningen. Er kommt auf Einladung der protestantischen Gemeinde und der katholischen öffentlichen Bücherei des Ortes und wird einige seiner Werke vorstellen. Warum er als Immigrant den mühsamen Weg gewählt hat, Schriftsteller in einer Fremdsprache zu werden, was ihn bewegt und ob er von seiner Kunst leben kann, hat der 51-Jährige, der seinen Zweitwohnsitz im Literaturm in Freinsheim hat, im RHEINPFALZ-Gespräch verraten.

Herr Özdemir, Sie nennen sich der „anatolische Pfälzer“. Was hat Anatolien mit der Pfalz zu tun?

Eigentlich haben die beiden Landstriche nichts miteinander zu tun, aber im Hinblick auf meine Identität schon. Es ist eher ein kulturpolitischer Ausdruck. Bis zum Alter von 16 Jahren habe ich in Zentralanatolien gelebt, dann bin ich nach Ludwigshafen gekommen. Erst hat mich meine Muttersprache geprägt, und seit 35 Jahren prägt mich Deutsch. Ich bin ein Kompositum. Als Sie in die Bundesrepublik kamen, konnten Sie da schon Deutsch? Haben Sie Fremdenfeindlichkeit zu spüren bekommen? Von Fremdenhass habe ich nichts bemerkt (lacht), ich konnte ja auch kein Wort Deutsch. Mein Vater hat viel Geld bezahlt, damit ich es im Sprachzentrum Ludwigshafen lerne. Anschließend musste ich eine einjährige „Maßnahme für ausländische Jugendliche“ besuchen. Bevor Sie dann aufs Gymnasium gingen? Mein Abitur hatte ich bereits in der Türkei abgelegt. Da kann man den Abschluss schon nach elf Jahren machen. Es wurde hier aber nicht anerkannt, und ich musste zwei Semester Studienkolleg absolvieren. Erst dann konnte ich mich in Heidelberg für Germanistik und Philosophie immatrikulieren. Warum haben Sie sich für einen so komplizierten Weg entschieden und sind ausgerechnet in einer Fremdsprache Schriftsteller geworden? (Lacht) Der komplizierte Weg erschien mir ganz einfach, und es war eine pragmatische Entscheidung Anfang der 1990er-Jahre. Ich wollte, dass meine Lyrik wahrgenommen wird. Die türkische Bevölkerung, die hier ursprünglich eingewandert ist, interessiert sich in der Regel nicht für Literatur, und die nachfolgenden Generationen können Bücher auch auf Deutsch lesen. Womit beschäftigen Sie sich in Ihren Werken? Vornehmlich mit Themen, die alle Menschen betreffen wie Sprache und Kultur, Natur und das Leben, Liebe und Beziehungen, darunter auch meine große Zuneigung zur Pfalz. Was schätzen Sie an der Pfalz besonders? Ich habe meinen zweiten Wohnsitz in Freinsheim. Von meinem Turm aus habe ich einen wundervollen Weitblick. Ich mag die Weinberge und den Wald, die ländliche Atmosphäre, die Stille, den Wein, die pfälzischen Speisen und die Geschichte. Darüber habe ich vor etwa 15 Jahren den Zyklus „Pfalz, ich atme dich“ geschrieben, eine Auseinandersetzung mit Deutschland auf kulturpolitischer Ebene. Daraus werde ich am Sonntag auch vorlesen. Insbesondere werden die Besucher aber Auszüge aus meinem jüngsten Gedichtband „Geschälte Sätze“ hören.Die Lyriksammlung ist doch schon 2013 erschienen. Was machen Sie seither? Ich bringe viele Gedichte zu Papier, und aktuell bin ich zwei Romanprojekte angegangen. Der Inhalt ist schon weitgehend klar. Das eine Buch wird von zwei Freunden auf der Flucht handeln. Aber der Rahmen der Erzählungen muss sich noch entwickeln. Außerdem arbeite ich dreimal pro Woche als Deutschdozent bei der Diakonie in Ludwigshafen und seit 1991 abends im Briefzentrum der Deutschen Post. Sie können also von Ihrer Kunst nicht leben? Sagen wir mal so: Mein Lebensunterhalt hängt nicht ab von der Literatur. So habe ich keinen Druck beim Schreiben. Geschieht Ihnen das oft, dass Sie in einer christlichen Kirche eine Lesung abhalten? Ja, in den vergangenen Jahren habe ich oft dort gelesen.

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