Donnersbergkreis Für ein Volk der guten Nachbarn

Warb im Westflügel der Orangerie mit viel Herzblut für Europa: Martin Schulz, der ehemalige Präsident des EU-Parlaments (links).
Warb im Westflügel der Orangerie mit viel Herzblut für Europa: Martin Schulz, der ehemalige Präsident des EU-Parlaments (links). Neben ihm ist SPD-Bundestagsabgeordneter Gustav Herzog.

Er wirbt für Europa – energisch, mit voller Überzeugung, mit viel Herzblut: Martin Schulz hat dies am Montagabend auch in Kirchheimbolanden getan. Und sich zudem mit Unternehmern, Schülern sowie Kommunalpolitikern ausgetauscht. Dabei wurde deutlich, welche Bedeutung die Europäische Union auch für den Donnersbergkreis hat.

23 Jahre lang saß Martin Schulz im Europaparlament, von 2012 bis 2017 war er dessen Präsident. Dann zog es ihn in die Bundespolitik. Schulz war Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat der SPD. Heute ist er ein „normaler“ Bundestagsabgeordneter – und weiterhin Herzbluteuropäer. Das wurde bei seinem Besuch in Kirchheimbolanden mehr als deutlich. „Wir leben meiner Meinung nach in einem dramatischen Epochenbruch“, sagte der 63-Jährige im Westflügel der Orangerie. Dort hatte Bundestagsabgeordneter Gustav Herzog zunächst rund 30 Personen aus Unternehmen, der Kommunalpolitik, aber auch Schüler geladen. Sie sollten die Möglichkeit haben, sich mit Schulz über Europa auszutauschen, Fragen an den ehemaligen Präsidenten des EU-Parlaments zu stellen. Die erste Frage hatte Herzog selbst. Sie drehte sich um die Zukunft zweier großer Arbeitgeber im Kreis – Adient und Borg Warner, zwei amerikanisch geprägte Unternehmen. „Alles hängt mit allem zusammen“, sagte Schulz – und kam dann auf den amerikanischen Präsidenten Donald Trump zu sprechen: „Trump will, dass in den USA produziert wird. Das Klimaabkommen hält er für eine Belastung für amerikanische Unternehmen.“ Ohne dieses müssten die Unternehmen in Amerika die Klimastandards nicht einhalten, könnten billiger produzieren. Der europäische Markt müsse zeigen, „wer nicht unsere Standards einhält, kriegt auch seine Produkte nicht auf unseren Markt“. Günther Bolinius, der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Donnersberg, beklagte das viele „Klein-Klein“. „Regionale Banken werden bald nicht mehr in der Lage sein, die Regulatorik zu stemmen. Die Folge sind Fusionen und die weitere Folgen dann, dass Banken in der Fläche verschwinden.“ Als Präsident des EU-Parlaments habe er sich für eine europäische Verfassung ausgesprochen, „in der klar geregelt ist, was die Europäische Union darf und was sie nicht darf“, so Schulz. Der 63-Jährige aus Würselen in Nordrhein-Westfalen, der einen überparteilichen Europaverein gegründet hat, hat eine klare Meinung: „Was du lokal, regional und national machen kannst, musst du dort auch machen.“ Für große Banken halte er durchaus Transparenz- und Kontrollgremien für wichtig. „Für Sparkassen brauchen wir aber nicht die Regularien wie für die Deutsche Bank.“ Und was meint Martin Schulz zum Brexit, wollte der Eisenberger VG-Bürgermeister Bernd Frey wissen. „Ich habe den Brexit von Beginn an für einen schweren Fehler gehalten.“ Er sprach sich zudem für eine Europaarmee aus, wie er auf eine andere Frage sagte. Sollte es zu einer nuklearen Aufrüstung kommen, dann sieht Schulz auch Rheinland-Pfalz betroffen, glaubt, dass dann in Büchel in der Vulkaneifel ein Standort wäre. „Europa besteht aus vielen kleinen Ländern und ein paar Ländern, die noch nicht kapiert haben, dass sie kleine Länder sind – das sind wir.“ Zum Vergleich: China und Indien stelle ein Drittel der Erdbevölkerung. „Diese Länder werden auf Dauer mächtiger werden.“ Apropos China: Wie er mit diesem Land umgehen würde? „Alles, was China bei uns darf, müssen wir in China auch dürfen. Das will dort die Regierung aber nicht.“ Er kritisierte eine aus seiner Sicht „fatale Passivität“ von Kanzlerin Angela Merkel in der Europapolitik, sprach sich dafür aus, dass die Städte und Kommunen, die die Hauptlast bei Flüchtlingen tragen, entsprechend unterstützt werden. Er redete mit dem SPD-Kreisvorsitzenden Tristan Werner über die Datenschutzgrundverordnung und ist wie Landrat Rainer Guth für eine Weiterentwicklung des innereuropäischen Schüleraustausches. Aber: „Wen schicken wir auf Reisen? Die akademische Jugend. Die, die wählen gehen.“ Was ihm fehlt, ist ein Austausch von Berufsschülern oder Auszubildenden. Schulz warb wie auch später bei einem rund einstündigen Vortrag im vollbesetzten Westflügel der Orangerie immer wieder für Europa. „Ich gehöre zur ersten Generation, die von sich sagen kann, dass sie von der Geburt bis zum Tod keinen Krieg erleben wird.“ Schulz versteht es, die großen Zusammenhänge einfach zu erklären, er reist durch die Geschichte, erzählt Geschichten – etwa von seiner Begegnung mit Jean-Claude Junckers Vater. Wenn der Bäcker in Kirchheimbolanden Steuern zahlen müsse, dann müsse das auch für einen amerikanischen Kaffeekonzern gelten. „Wir müssen Europa einordnen in den globalen Entwicklungszusammenhang.“ Der 63-Jährige ist überzeugt: „Man muss für ein starkes Europa kämpfen.“ Gegenseitiger Respekt auf Augenhöhe, gute Nachbarn, Nationen, die über Grenzen hinweg zusammenarbeiten: Für die Idee von Europa lohne es sich einzustehen. „Lasst uns doch ein Volk der guten Nachbarn sein – nach innen wie nach außen.“ Worte, für die Schulz in der Kleinen Residenz großen Applaus erhielt.

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