Karlsruhe Die junge Liebe zum alten Istanbul

Ettlingen. Dem 71-jährigen sportlichen Hobby-Fotografen Ralf Diemb hatte es stets das alltägliche Leben auf den Straßen in aller Welt angetan. Worauf es ankam, waren die Gesichter der Menschen, außergewöhnliche Augenblicke oder Situationen, die eine Geschichte erzählten. Als Fotograf ist Diemb, der in den 80ern zu den Mitgründern des Ettlinger Kunstvereins Wilhelmshöhe gehörte und der dort heute noch aktiv ist, Autodidakt. In Thüringen geboren und seit 1950 im Badischen, studierte er in Heidelberg Lehramt und war dann 42 Jahre im Schuldienst, davon 17 Jahre in der Lehrerausbildung. Mit dem Fotografieren hat er 1980 angefangen, aber das Hobby dümpelte berufsbedingt eher vor sich hin. Als er 2007 pensioniert wurde, legte er jedoch los: „Eigentlich bin ich ständig digital auf Tour.“ Nur die Region um Karlsruhe erscheint ihm weniger attraktiv. Dafür fand er viele Motive in Südfrankreich, wo die Familie eine kleine Wohnung hat. Die neueste fotografische Liebe gilt der Bosporus-Metropole Istanbul und dort vor allem jenen Quartieren und Vororten, die dem aktuellen Modernisierungswahn des ehemaligen Bürgermeisters und nunmehrigen Präsidenten Tayyip Erdoğan zum Opfer zu fallen drohen. Am Anfang stand ein ganz normaler Istanbul-Besuch mit der Familie und der Besichtigung der üblichen Touristenorte. Das hatte Folgen: Weitere Visiten waren schon spezieller. Da hatte er über das Internet bereits Kontakt zu dem Istanbuler Fotografen Sadik Ücok bekommen, der sich als fotografischer Seelenverwandter erwies und ihm das „andere“, traditionelle Istanbul zeigte. Aus der Zusammenarbeit ist eine Ausstellung entstanden, die noch bis 14. September im Kunstverein Wilhelmshöhe gezeigt wird. 90 großformatige Schwarz-Weiß-Fotos sind zu sehen, von Orten, die es so vielleicht bald nicht mehr gibt. Mit Kindern, die auf der Straße Fußball spielen, wettergegerbten Gesichtern, in denen die Geschichte des Viertels zu lesen ist. Oder auch der einsame Aktentaschenträger, der sich auf der Galatabrücke durch das Schneetreiben kämpft, der Fischbrater, der auf Kundschaft wartet, verschleierte und modern gekleidete Frauen nebeneinander, der ganze Kosmos des Schmelztiegels. Diemb wie Ücok haben Ara Güler zu ihrem Leitbild erkoren, den inzwischen 86-jährigen, weltbekannten türkischen Fotografen armenischer Abstammung, der in Istanbul lebt. Der Besucher aus Ettlingen suchte eigens Gülers, nach diesem „Ara“ benanntes, Stammcafé auf und hatte Glück: „Ich stand da wie meine kleine Tochter vor Brad Pitt und bat um ein Autogramm.“ Wer seine Motive auf der Straße sucht, braucht neben etwas Glück gute Beobachtungsgabe und schnelle Entschlüsse. Zudem müsse er, so Diemb, immer auch schon im Kopf haben, wie das zunächst farbige Motiv später in Schwarz-Weiß wirken würde. Vor allem aber legt er größten Wert auf die Bildkomposition – selbst kleine Details müssen sitzen. Ein Buch mit den Fotos ist Dank der Unterstützung durch die Kunstsammlerin Marli Hoppe-Ritter und das Stuttgarter Ministerium für Wissenschaft und Kunst in Vorbereitung. Aber Diemb und Ücok möchten ihre Fotos auch noch an anderen Orten präsentieren, gerne auch in der Pfalz. Und natürlich in Istanbul, aber dafür müsste dort ein nicht kommerzieller Partner gefunden werden. Für Ettlingen sagte das türkische Generalkonsulat freundlich eine Unterstützung ab. Leiser Verdacht: Vielleicht passen diese Fotos nicht so ganz zur offiziellen Zukunftsvision für die Metropole am Bosporus…

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