Rastatt Bereit für den Abflug

Die beiden jungen Fischadler Balbü und Kju im Horst bei Rastatt.
Die beiden jungen Fischadler Balbü und Kju im Horst bei Rastatt.

Die Ornithologen des Nabu haben die beiden jungen Fischadler „Balbü“ und „Kju“ erst kürzlich beringt. Im Mai hatte es nach 115 Jahren Pause in der badischen Oberrheinebene die erste erfolgreiche Brut der beeindruckenden Greifvögel gegeben.

Es war eine ornithologische Sensation: Nach 115 Jahren Pause gab es im Mai in der badischen Oberrheinebene bei Rastatt die erste erfolgreiche Brut bei Fischadlern, einer besonders beeindruckenden Greifvogelart. Das erste Ei des Geleges lag, wie der NABU-Landesverband mitteilte, am 15. April im Nest der Fischadlereltern. 38 Tage lang mussten die Vogelfans im Land dann bangen, dass die Brut auch erfolgreich schlüpft. Das war Ende Mai soweit. Seit etwa drei Wochen sind die beiden Jungadler, die der Nabu auf die Namen Balbü und Kju taufte, nun auch flügge.

Im Verlauf des August, so berichtet jetzt Daniel Schmidt-Rothmund, der Leiter des Nabu-Vogelschutzzentrums in Mössingen (Kreis Reutlingen), werden die beiden auf den großen Vogelflug in den Süden aufbrechen zur Überwinterung. Bis dahin lauern noch allerhand Gefahren für den Nachwuchs. Ende Juni hatten Schmidt-Rothmund und die Kollegen des Naturschutzbundes die beiden Jungadler beringt.

Profi-Kletterer Georg Bürk holte die Jungvögel unter Anleitung aus ihrem Nest in der luftigen Höhe von 25 Metern Höhe und ließ sie vorsichtig in einem Sack an einem Seil herunter. Die Elterntiere waren derweil aufgeflogen, kreisten über dem Horstbaum und beobachten aufmerksam das Procedere. Dabei stießen sie aufgeregte Warnrufe aus. Am Waldboden nahm der Ornithologe Schmidt-Rothmund die Jungvögel behutsam in Empfang und führte einen Gesundheitscheck durch: untersuchen, wiegen und vermessen. „Wir haben ein 1.458 Gramm schweres Weibchen und ein 1.178 Gramm schweres Männchen – sehr guter Durchschnitt für die Altersklasse“, erklärte der Nabu-Fachmann die Aktion Ende Juni. Inzwischen sind Balbü und Kju weiter gewachsen. Die Namen der beiden haben eine besondere Bedeutung: der Name des Weibchens, Balbü, ist die Abkürzung für Balbuzard, das französische Wort für Fischadler, der des Männchens, Kju, nimmt Bezug auf den „kju-kju-kju“-Warnruf des Fischadlers. Auseinanderhalten lassen sich die beiden optisch dabei nicht auf Anhieb.

Das Nest, in dem die beiden ihre Kinderstube verbringen, hatte Schmidt-Rothmund vor etwa zwei Jahren installiert. Anders als bei sieben vergleichbaren Nestern im benachbarten Elsass war im Raum Rastatt – die genaue Örtlichkeit wird bewusst nicht öffentlich bekannt gegeben – die Brut erfolgreich gewesen. Ein weiteres Nest in nächster Nachbarschaft gibt es im nördlichen Elsass, an der Landesgrenze zu Rheinland-Pfalz. Jeden Morgen um 7.30 Uhr, so erläutert Ornithologe Schmidt-Rothmund, mache eine automatische Kamera ein Foto des Nestes bei Rastatt, und übermittle das Foto ins Vogelschutzzentrum Mössingen.

Derzeit gebe es „einen anhaltenden Prozess der Abnabelung“, und irgendwann im August seien die beiden – samt den Eltern – auf dem großen Vogelflug unterwegs Richtung Süden. „Der Vater der Fischadlerfamilie bleibt bis ganz zum Schluss, hält die Stellung, und betrachtet das Vogelnest als sein Eigenheim“, erläutert Schmidt-Rothmund. Auf den mehreren tausend Kilometern Wegstrecke würden aber noch allerhand Gefahren lauern. „Jetzt beginnt für das jugendliche Adlerleben die Zeit mit den höchsten Risiken“, sagt er. Nur etwa die Hälfte der Jungvögel überlebe den Vogelflug – mit den Risiken etwa, dass ein Habicht oder Steinadler in Südeuropa ihren Weg kreuze, oder Wetterprobleme mit starken Winden in der Meerenge bei Gibraltar und über der Sahara.

Im September lassen sich mehrere tausend Fotoaufnahmen, die die Kamera im Adlerhorst bei Rastatt fortlaufend macht, auswerten, und geben dann weiteren Aufschluss über das Familienleben in 25 Metern Höhe.

Hintergrund

Die erste nachweislich erfolgreiche Brut der Greifvogelart seit mehr als 115 Jahren in Baden-Württemberg gilt als eine Sensation, die dem 59-jährigen Ornithologen Schmidt-Rothmund noch immer Tränen der Freude in die Augen treibt. Seit 33 Jahren arbeitete der Leiter des Nabu-Vogelschutzzentrums Mössingen auf diesen Tag hin. Für Schmidt-Rothmund ist die Wiederansiedlung der Fischadler im Südwesten so etwas wie ein Herzensthema und Lebenswerk, das viel Zeit, Energie, Geduld und nicht zuletzt Geld erfordert. Dank einem großen Netz aus Ehrenamtlichen sowie vogelbegeisterten Spenderinnen und Spendern hatte er im Land mehr als 30 Plattformen auf hohen Bäumen installiert, Nistmaterial hochgeschafft und die Standorte regelmäßig besucht. In der Nähe von Rastatt nun mit glücklichem Ausgang.

Der Fischadler ist ein reiner Pescetarier. Oberflächennah lebende Fische wie die Brachse erbeutet er aus der Luft. Als vermeintlicher Nahrungskonkurrent des Menschen wurde der Greifvogel erbarmungslos abgeschossen, seine Gelege wurden geplündert und Horstbäume gefällt, bis zur Ausrottung 1907 im Südwesten. Noch im 19. Jahrhundert war der Fischadler in Baden-Württemberg entlang von Donau, Rhein, Neckar und an Kocher und Jagst beheimatet. Bekannt ist das vor allem, weil aus dem 19. Jahrhundert Jagdstatistiken mit langen Abschusslisten vorliegen. Auch Eiersammlungen in Museen belegen das.

Info

https://baden-wuerttemberg.nabu.de/news/2023/mai/33309.html

Daniel Schmidt-Rothmund, Leiter des NABU-Vogelschutzzentrums in Mössingen (Kreis Reutlingen) beringt und untersucht Balbü.
Daniel Schmidt-Rothmund, Leiter des NABU-Vogelschutzzentrums in Mössingen (Kreis Reutlingen) beringt und untersucht Balbü.
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