Kaiserslautern Zu schnell fürs Auge

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Es gibt Menschen, denen sind Fußball und Bond-Filme zu lahm. Sie mögen das schnelle Eishockey und die rasanten Bourne-Filme. Für diese gar nicht mal so kleine Gruppe der Anspruchsvollen gibt es nach neun Jahren Pause und einem Irrläufer (ein Bourne-Film ohne Matt Damon) endlich den vierten Bourne-Film mit Matt Damon.

Boxer, die keinen Erfolg mehr haben, werden Geldeintreiber (wie im deutschen Film „Herbert“, 2015). Ausgemusterte CIA-Killer – wie Jason Bourne – verdienen sich den Lebensunterhalt mit illegalen Boxkämpfen in Albanien, die aussehen wie in David Finchers „Fight Club“ von 1999. Doch der Schein trügt – wie immer. Denn der neue Bourne-Film ist schon auf der Höhe der Zeit. In Athen gerät Bourne in eine Demo gegen die Finanzpolitik, seine Ex-Kollegin Nicky (Julia Stiles, wo war sie nur alle die Jahre?) stiehlt im Internet Daten, die die CIA lieber für sich behalten hätte – siehe Edward Snowden. Und natürlich ist Jason Bourne, der Killer ohne Gedächtnis, der inzwischen einiges über seine Vergangenheit weiß, weiterhin der Flüchtling par excellence. Die Daten, die Nicky findet, betreffen auch Bourne. Also kontaktiert sie ihn und weckt damit nicht nur in ihm alte Instinkte, sondern auch bei der CIA, die ihren fehlprogrammierten Killer schon länger töten will, aber nicht wusste, wo er sich aufhält, denn ein Mitteilungsbedürfnis auf Facebook oder WhatsApp hat der nun mal nicht. Doch nun ist das Ortungssignal wieder da, Bourne wird erneut gejagt. Nicky auch. Bevor sie stirbt, kann sie in Athen mit Bourne auf einem geklauten Motorrad durch die Straßen rasen und Bourne den Datenstick übergeben. Den kann Bourne aber erst bei seiner nächsten Station in Berlin decodieren: Sein Vater war an dem Rekrutierungsprogramms beteiligt, das Bourne zum Killer machte. Das zu wissen, gefällt ihm nicht, aber viel Zeit für familiären Hass hat er nicht. CIA-Frau Heather Lee ist ihm auf den Fersen, ein anderer CIA- Killer (Vincent Cassel) ebenfalls. Der zieht genauso cool, stur und mit starren Gesichtsdruck, der kein Lachen kennt, sein Ding durch wie Bourne. Geschichte wiederholt sich. Bourne entkommt. Im dichten Gemenge der Fußgängerzone schüttelt er seine Verfolger zu Fuß ab, auf den Straßen entkommt er mit dem Motorrad, mit dem Auto rammt er reihenweise parkende Fahrzeuge, um sich den Weg freizuschaufeln. Fehlt nur noch, dass er schrumpft und sich in einer Drohne davon macht. Oder mit dem E-Bike. Ansonsten kann man viele Arten von Verfolgungsjagden auf Plätzen, Straßen, Dächern und Häusern studieren. Wenn man das kann. Selbst häufiges Zuschauen beim Eishockey, wo man permanent den Puck sucht, hilft nicht. Denn Paul Greengrass, der seit dem zweiten Film „Die Bourne Verschwörung“ (2004; der erste, „Die Bourne Identität“, 2002, war von Doug Liman) Regie führt, hat von dem Sechser-Team, das für den dritten Film („Das Bourne Ultimatum“, 2007) drei Oscars einheimste (Schnitt, Ton, Tonschnitt), aus jeder Kategorie einen Mitarbeiter retten können. Und alle haben sich noch mal übertroffen, um die Kunst des schnellen Schnitts zu verfeinern mit noch mehr verwirrenden Großaufnahmen, Farb- und Formspielen und radikalfixen Ortswechseln. Es geht hier um Bruchteile von Sekunden. Wer sagt, dass er folgen kann, der lügt! Matt sitzt man vor der Leinwand, weil man Matt schon wieder aus den Augen verloren hat! Eben war er doch noch da drüben, auf der alten Treppe. Jetzt versteckt er sich hinterm Denkmal, schlägt einem CIA-Mann die Autotür an den Kopf, taucht mal schräg oben, mal von hinten, mal von der Seite auf. Bevor man es verarbeiten kann, ist er wieder weg. Kein Wunder, dass Bourne nur Zeit hat für knappe Sätze, kurze Blicke und spontane Reaktionen. „Jason Bourne“ treibt den intellektuellen Action-Verfolgungsfilm zu neuen Höhen. Natürlich reicht es nicht, ein Auto in den Luft zu schießen wie zu Beginn der Kinoserie vor 14 Jahren, eine ganze Autozeile muss es schon sein, die Explosionen sind größer, die Gegner potenter, die Schüsse zahlreicher.. Hier stört es nicht, weil man als Zuschauer zu stark gefordert ist, Bourne (Damon ist da so stoisch und reaktionsschnell wie es Daniel Craig als Bond nie sein kann) zu folgen. Für Kürzest-Ruhephasen von zwei, drei Sekunden sorgen die CIA-Leute, allen voran der Chef (Tommy Lee Jones, der so faltenreich, alt und verlebt aussieht wie nie zuvor) und sein Schützling Heather Lee (Alicia Vikander, die zarte Oscar-Gewinnern aus „The Danish Girl“ als Agentin und Hackerin, die Bourne erst jagt und ihm dann hilft, weil sie das Gewissen packt), verraten ihre Gedanken in Drei-Satz-Dialogen, wo Bourne nur meint: „Wir sehen uns in Las Vegas“. Natürlich ist die Handlung nicht tiefschürfend, aber erstaunlich viel Politik- und Gesellschaftskritik kann hinein interpretiert werden. Das ist ein kluger Coup. „Wie schlimm ist es?“ fragt der CIA-Chef einmal. „Könnte schlimmer sein als Snowden!“ bekommt er zur Antwort. Es ist schlimmer! Aus dem Jüngling Bourne im ersten Film, der mitunter durchaus naiv war, ist inzwischen ein gestandener Mann Mitte 40 geworden. Ortswechsel à la Bond gehören dazu, Frauen auch, aber keine Love-Story. Dazu war vielleicht früher (mit Franka Potente im ersten und zweiten Film – wer erinnert sich noch?) mal Zeit, heute nicht mehr. Treadstone und andere Böse sind wichtiger. Auch gibt es immer noch genug Dinge aus Bournes Vergangenheit, die er – und wir, die Zuschauer – noch nicht wissen. Und viele Dinge, die wir zwar wissen, aber nicht glauben können, etwa, dass Bourne in Berlin am Prenzlauer Berg steht, sich umdreht und mitten im tiefsten Kreuzberg auf Graffiti schaut, die aussehen wie im ersten Bourne-Film von 2002. Das kann doch nicht sein – oder ist das alles nur ein Trick Hollywoods, um der CIA ihre Ohnmacht vorzuführen? Ein fünfter Greengrass-Damon-Bourne-Film könnte da weiterhelfen.

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