Kaiserslautern Wider das Vergessen

Jahrzehntelang kannte in Kaiserslautern kaum jemand den Namen Gérard Koch (1926 bis 2014). Bis vor rund 15 Jahren zuerst in Zweibrücken und fünf Jahre später auch im Theodor-Zink-Museum Ausstellungen auf ihn aufmerksam machten. Die Bürger hier wie dort erfuhren, dass dieser Name einem Künstler mit pfälzischen Wurzeln gehört. Am Sonntag war eine Benefizveranstaltung in der Volkshochschule (VHS), um Geld für den Ankauf eines Koch- Werkes zu sammeln.

Drei ausführliche Reden, ein Videofilm, eine Begrüßung und eine musikalische Umrahmung – so las sich das komplexe Programm zur Benefizveranstaltung „Der Schrei – Kunst wider das Vergessen“. Wer trockene Kost vermutete, irrte. Diese anderthalb Stunden vergingen wie im Flug, so spannend wussten die Redner aus unterschiedlichen Perspektiven zu berichten. Initiator Michael Staudt, Direktor der VHS, schöpfte aus persönlichen Begegnungen, um den Zuhörern „den Mensch und Künstler hinter den Werken“ näher zu bringen. Dieser kam im Jahr 1926 als Günther Manfred Julius Koch und Sohn jüdischer Eltern im Lauterer Krankenhaus zur Welt. Die Familie lebte in Landstuhl, bis sie nach dem Tod des Vaters 1931 nach Zweibrücken zu Angehörigen der Mutter umzog. Angesichts der politischen Lage im Dritten Reich rettete den zwölfjährigen Koch die Flucht nach Frankreich. Geografische Lebensstationen folgten in Südfrankreich, Spanien und Israel, bis ihn sein „inneres Bedürfnis“ zurück nach Paris führte, um ein Kunststudium zu beginnen. Staudt führte aus, wie schwierig es für Koch war, Teile der Familie ausgelöscht zu wissen ohne darüber reden zu können. Stattdessen sei sein Werk kennzeichnend für erlebte Schrecken und Ohnmacht. Er erwähnte die artverwandte Liebe zur Literatur und Musik, die charakteristischen Linien als „plastischen Gedanken“, den ständig Suchenden und sich Schützenden und endlich Zurückkehrenden in die Heimat, was erst ab 1999 gelang. Auf Geburtsort, Kindheitsstätten und politisches Klima der damaligen Zeit ging auch Roland Paul ein, der den Künstler ebenfalls 1999 kennenlernte. Der Direktor des Pfälzischen Instituts für Geschichte und Volkskunde führte die Familiengeschichte Kochs väterlicherseits wie mütterlicherseits bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein aus. Während die Verwandten von Kochs Vater nach Argentinien auswanderten, starben die Angehörigen von Kochs Mutter in den Konzentrationslagern von Gurs bis Auschwitz. Bis auf Günther Manfred Julius, der im Exil in Frankreich zu „Gérard Koch“ wurde. Dass er dort nicht nur die Namensänderung erfuhr, sondern seinen künstlerischen Weg gehen konnte, führte Marlene Jochem unter dem Titel „Die befreite Form – Klang und Bewegung im Raum“ aus. In ihrer Museumsleiterinnenzeit kam es 2004 zur oben erwähnten Ausstellung. Rückblickend bezeugte sie zutiefst beeindruckt Kochs innere Überzeugung und Suche nach dem allgemeingültigen, zeitlosen Ausdruck trotz der extremen existenziellen Erfahrungen. Er habe, so Jochem, trotz Brüchen und Krisen, trotz jahrzehntelangem Leiden den Mut zu Aufbruch und Neubeginn, zu Humanismus, Empathie und Temperament gefunden, sowohl künstlerisch als auch persönlich. Bezogen auf Kochs künstlerischen Werdegang erwähnte Jochem aufschlussreiche Stationen seiner hyperrealistischen Aussagen: skeletthafte Kreaturen, skizzenhafte Bronzekörper, extreme Biegungen der Körper, unruhig gebrochenen Oberflächen, hermetisch geschlossene Formen oder jene titelgebenden Schreie, die darstellerisch auf den aufgerissenen Mund und hochgereckten Armen den völligen Zusammenbruch folgen lassen. „Diese Befreiung war für ihn wie eine neue Geburt. Fortan geht es ihm darum, seiner inneren Musik Gestalt zu geben“, so Jochem. Letztlich heißt schwarz-weiß die zweite Reduktion in puncto Farbe. Kochs Lieblingskomponist war Bach. Das Duo Katie Punstein und Jan-Niclas Folks gedachten seiner akustisch auf Cello und Violine unter anderem mit dem Stück „Air“. Die Benefizveranstaltung am Sonntag brachte 600 Euro ein. Der Betrag kann bis zum 10. April aufgestockt werden.

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