Kaiserslautern Wann sind 70 Jahre vorbei?

Seit dem Jahreswechsel gibt es neuen Streit um das weltberühmte Tagebuch der Anne Frank: Der französische Wissenschaftler Oliver Ertzscheid und die französische Politikerin der Grünen Isabelle Attard haben das Tagebuch in seiner niederländischsprachigen Originalfassung ins Internet gestellt. Sie argumentieren, das Copyright sei abgelaufen. Doch der Urheberrechte-Inhaber, der im schweizerischen Basel ansässige Anne Frank Fonds, ist damit gar nicht einverstanden.

Das Tagebuch müsse nun jedem zugänglich gemacht werden, weil es ein wertvolles Zeitdokument sei, begründet Oliver Ertzscheid die Online-Publikation des Tagebuchs des jüdischen Mädchens, das kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 in Konzentrationslager Bergen-Belsen starb. „Bei diesem Text und dem, was er darstellt, bin ich der Überzeugung, dass es keinen anderen Kampf zu führen gibt als den seiner Befreiung“, schreibt Ertzscheid martialisch auf seiner Website. „Liebe Anne, dein Tagebuch soll 70 Jahre nach deinem Tod in den öffentlichen Besitz übergehen“, fährt der Kommunikationswissenschaftler fort. Der in Basel ansässige Anne Frank Fonds ist entsetzt. Der Fonds erhielt die Rechte am Buch von Annes Vater Otto Frank, der als einziger der Familie den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust überlebte. Nun droht ein juristischer Streit zwischen dem Fonds in Basel und den Franzosen Oliver Ertzscheid und Isabell Attard. Normalerweise verfallen die Urheberrechte eines Autors an seinem Werk 70 Jahre nach seinem Tod. Für das Tagebuch Anne Franks hieße das eigentlich, dass die Urheberrechte am 1. Januar 2016 verfallen sind, da das Mädchen Anfang 1945 in Bergen-Belsen starb. Aber dem sei nicht so, argumentiert der Anne Frank Fonds. Denn das Tagebuch habe eine lange Entstehungs- und Publikationsgeschichte und das Mädchen sei nicht alleinige Urheberin gewesen: Es gibt verschiedene Ausgaben des Tagebuchs, in dem Anne Frank notierte, wie sie und ihre Familie sowie ein Freund der Familie sich von den Häschern der Nazis im Hinterhaus an der Amsterdamer Prinsengracht Nr. 263 jahrelang versteckten, bis sie von einem Niederländer verraten worden waren. Die gesamte Familie Frank wurde verhaftet und in die Konzentrationslager der Nazis deportiert. Nur Otto Frank überlebte, er starb 1980. Und es war Otto Frank, der nach der Befreiung der Niederlande 1945 die Tagebücher seiner Tochter erhielt. Es waren zwei. Eine erste und eine zweite Version. Die zweite Version hatte Anne geschrieben, nachdem sie in ihrem Unterschlupf 1943 im Radio eine Rede von Königin Wilhelmina der Niederlande gehört hatte. Die Königin rief aus ihrem Exil in London die Niederländer dazu auf, Tagebücher zu schreiben und alles zu notieren, was sie unter der Besatzung der Nazis (1940-1945) erlebten. Ihr Vater Otto Frank bearbeitete beide Fassungen. Die daraus resultierende erste Buchausgabe erschien zunächst auf Niederländisch unter dem Titel ,,Het Achterhuis‘‘ (Das Hinterhaus). Sie war eine redigierte Fassung von beiden Versionen der Tagebücher. „Da Otto Frank die Tagebücher seiner Tochter überarbeitet und publiziert hat, kann auch er als Mitautor gelten“, meint Yves Kugelmann, Mitglied des Baseler Anne Frank Fonds. „Die Erstausgabe von ,Das Hinterhaus’ von 1947 kann als gemeinschaftliches Werk von Otto und Anne bewertet werden.“ Der 1963 von Otto Frank gegründete Anne Frank Fonds besitzt alle Urheberrechte am Tagebuch. Erst 1986 publizierte er eine wissenschaftliche Ausgabe. Mit dieser Edition wurden beide Tagebücher, die Anne Frank geschrieben hatte und die ihr Vater Otto zu einem Buch zusammengefasst hatte, erstmals überhaupt der Öffentlichkeit zugänglich. „Daher kann dieses Datum als eigentliche Erstveröffentlichung der Tagebücher gelten“, so Yves Kugelmann. Nach Auffassung des Baseler Fonds verfällt das Urheberrecht am Tagebuch der Anne Frank daher erst im Jahr 2037. Nun werden wohl Richter klären müssen, ob das zutrifft oder ob das Urheberrecht doch bereits am 1. Januar 2016 abgelaufen ist. Der Anne Frank Fonds in Basel will jedenfalls mit allen juristischen Mitteln gegen weitere ,,Raubdrucke‘‘ das Tagebuchs vorgehen und sie verbieten lassen. Unterdessen gibt es einen neuen deutschen Kinofilm namens „Das Tagebuch der Anne Frank“ (Regie: Hans Steinbichler, Drehbuch: Fred Breinersdorfer), der am 3. März anlaufen soll.

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