Kaiserslautern Verdummt genug?

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„Stell’ Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“, war, frei nach dem US-Schriftsteller Carl Sandburg, einer der Slogans, mit dem eine friedensbewegte, junge Generation in den 1960ern bis 1980ern auf die Straßen ging. Stell’ Dir vor, es ist Antikriegstag, und keiner der Jungen interessiert sich mehr dafür, könnte man in Abwandlung des Zitats titeln angesichts der Besucherresonanz beim Antikriegstagsspecial der Untiere im Edith-Stein-Haus am Dienstagabend. Dennoch ließen sich die engagierten Kabarettisten davon nicht aus dem Tritt bringen und boten mit vier Gästen ein facettenreiches Programm zum Thema.

Was ist bloß los mit den jungen Menschen, könnte man sich fragen angesichts des reiferen Publikums im leider nur zur Hälfte besetzten Edith-Stein-Haus. Wischend statt winkend im Orkus des Netzes verlustig gegangen? Selbst bei einem früheren Untier-Auftritt direkt an der Uni hatten sich bei freiem Eintritt nur eine Hand voll Studierende blicken lassen, wie Untier-Leitwolf Wolfgang Marschall berichtet. Einer seiner Gäste, Liedermacherin Cynthia Nickschas, hatte in ihrem Programmteil denn auch gleich eine Antwort darauf in ihrem Song „Verdummt genug“. Überhaupt geht sie in ihren klugen, weil gut beobachtenden und analysierenden Texten auf gesellschaftliche Missstände und Entwicklungen ein. Und das ganz in der Manier früherer Protest-Singer/Songwriter, mit Gitarre, klarem Blick und ebensolchen Botschaften. Dass sie aus der Straßenmusikszene stammt, merkt man der Direktheit ihrer Ansprache an. Auch der zweite junge Gast, ebenfalls mit Gitarre bewaffnet, aber ohne Mitmusiker, belebte das Spektrum wesentlich. Sarah Lesch aus Tübingen kleidet ihre Gegenwartsbeobachtungen in melancholische, herzerwärmende Songs in bester Liedermachertradition. Gerne stellt sie den Einzelnen und sein Schicksal ins Zentrum ihrer einfühlsamen Lieder und Gedichte. Lupenreines Fingerpicking auf der Gitarre und eine mädchenhaft klare Stimme à la Cristin Claas verzaubern dabei den Hörer. Den historischen Aspekt des Themas brachte die Kaiserslautererin Eva Schön in Text und Lied ein, etwa wenn es (nach Heine) um den Weber-Aufstand ging, um Auswandererschicksale oder das deportierter Juden im Konzentrationslager. Auch Untier-Stammmitglied Marina Tamassy griff in Text- und Liedform die Vergangenheit auf, etwa in Ernst Jandls berühmten Gedicht „schtzngrmm“ von 1957 oder in Kästners „Das letzte Kapitel“, das bereits 1930 die Selbstzerstörung der Menschheit durch Giftgas beschrieb. Nicht minder eindrücklich gab Tamassy daneben die selbst verfassten Songs „Gewissensfrage-Lied“, begleitet von Untier-Pianist Edwin Schwehm-Herter, in dem sie den Damen und Herren der Rüstungslobby unangenehme Fragen stellt, und mit der ganzen Untier-Combo dann das „Nette-Leute-Lied“, in dem es um die Abgründe hinter gestärkten Gardinen geht. Wie immer rhetorisch geschliffen, haute Marschall dem Publikum die Wahrheiten um die Ohren. Er ist dabei ein großer und akribischer Rechercheur des oftmals Unglaublichen, der sich mit offenen Augen unter anderem dem amerikanischen Bündnispartner stellt und dabei nicht umhinkommt, den „Drohnenterror der CIA“ mit dem 22-jährigen RAF-Terror zu vergleichen. Zwischen 2004 und 2011 hätten die Amerikaner 2900 Menschen getötet, davon 800 Unbeteiligte, davon wiederum 164 Kinder. Auf 34 Morde hätte es die RAF gebracht. Das Obama-Zitat „Ich bin gut im Töten“, stellte Marschall geschickt in diesen Zusammenhang und gleich noch die Frage, was los wäre in unserer Medienlandschaft, wenn Putin dies gesagt hätte. Überhaupt bekamen auch die Medien mit ihrem gnadenlosen und allgegenwärtigen Mainstream, der andere Meinungen nicht zulasse und diffamiere, ihr Fett weg – und das durchaus nicht unverdient. Mit Zahlenspielen wartete auch der vierte Gast, Özgür Cebe, auf. Der zum wiederholten Mal bei den Untieren auftretende Comedian stellte etwa fest, dass es vor dem 11. September (9/11) etwa 100 Terroristen gegeben habe, inzwischen sei, frei nach dem „Hydra-Prinzip“, eine wahre Armee mit 100.000 Kämpfern daraus geworden. Da lag für Cebe der Vergleich zwischen dem Islamischen Staat und dem sogenannten Dritten Reich nahe. Ungewohnt politisch, damit aber wohltuend dem Umfeld und Anlass entsprechend, gab sich Cebe diesmal, wobei er in der zweiten Programmhälfte denn doch wieder mit dem deutsch-türkischen Culture-Clash spielte. Eine Premiere bedeutete der Auftritt von Jung-Untier Philipp Tulius: Erstmals gab er den Bundespräsidenten Gauck. Von der Parodie her ist der begabte Jungkabarettist dem Staatsoberhaupt schon ganz nah auf den Fersen, leider auch, was die pastorale Phraseologie betrifft – für kabarettistische Spitzen und Zuspitzungen bleibt hier noch Raum. Weit über drei Stunden plus Pause ging die ambitionierte Vorstellung; eine Straffung hätte sie dennoch vertragen, und aus einem guten wäre ein noch besseres Programm geworden. Dennoch ein starkes Bekenntnis an diesem Tag, der trotz allgegenwärtiger Kriege und Krisen so wenig Beachtung in einer breiten Öffentlichkeit fand.

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