Kaiserslautern Und als Hausaufgabe die Welt retten

Es ist keine einfache Aufgabe, mit der Neil Young die 6000 Zuschauer am Ende seines Konzerts am Montag am Mainzer Zollhafen in die Nacht entließ: heimgehen, Welt retten! Aber zusammen mit seiner Begleitband Crazy Horse hatte er sein Publikum über zwei Stunden darauf vorbereitet.

Als der Abend langsam der Nacht wich und der Wind ein wenig stärker blies als in den knapp anderthalb Stunden zuvor, da wurde aus einem guten Konzert ein großartiges: Da stand Neil Young alleine auf der Bühne, nur er, ganz in Schwarz, eine Mundharmonika um den Hals und eine Akustikgitarre in der Hand. Knapp anderthalb Stunden hatte er gelärmt, seine Gibson-Gitarren jaulen, aufheulen und schreien lassen, sich durch den 20-minütigen Opener „Down By The River“ – passend zur Open-Air-Bühne am Rheinufer – gestampft und beim 25 Minuten langen „Love To Burn“ die Soli gar nicht enden lassen wollen. Und nun stand er da, ganz alleine und ganz leise, und als es so still war, da klang seine Stimme auf einmal gar nicht mehr so fistelig und verletzlich wie bei den krachenden Rockern. Da war der Zollhafen ein großer Chor, und alle sangen sie mit, den Text, den die meisten sogar besser kannten als die von Youngs eigenen Liedern: „How many roads must a man walk down ...“ Bob Dylans „Blowin’ In The Wind“. Und da passte es, dass Youngs Version mit den eingestreuten Bassläufen und dem fröhlich hüpfenden Rhythmus an einen anderen großen Protestsänger erinnerte: an Woody Guthrie. Für einen kurzen Moment wollte man da gerne glauben, dass der Rock ′n′ Roll wirklich die Welt retten kann. Und wenn er’s doch nicht tut, dann sage ja keiner, Neil Young hätte es nicht versucht: „Ich lege einen heiligen Schwur ab, dass ich nie wieder töten werde“, singt er in „Living With War“, seiner Abrechnung mit dem ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush. Dessen Vater hatte sich der Kanadier bereits vor 25 Jahren vorgeknöpft, in „Rockin′ In The Free World“, mit dem er zwölf Minuten lang das reguläre Set beendet, um dann, ohne richtig von der Bühne zu gehen, die Zugabe „Who’s Gonna Stand Up And Save The Earth“ zu spielen. Ein brandneues Lied, das zum Start der Europa-Tournee vor drei Wochen im isländischen Reykjavik Premiere hatte. Aufstehen und die Welt retten – wer macht′s? Gitarrist Frank Sampedro gibt im Refrain gleich die Antwort, zeigt mit dem Finger immer wieder ins Publikum und ruft „You, you, you!“ Das offizielle Weltenretter-T-Shirt hatte jeder sogar am Eingang geschenkt bekommen: „Protect“ stand auf dem für die Frauen, „Earth“ trugen die Männer: „Schützt die Erde“. Bei allem Weltverbessern: Frank Sampedro hatte noch einen anderen Rat. „Vergesst nicht, Party zu machen!“, empfahl er vor „Psychedelic Pill“, wie „Barstool Blues“ ein eher kurzer Rocker. Und eingebettet zwischen dem akustischen „Heart Of Gold“, Neil Youngs einzigem Nummer-1-Hit, und „Cortez The Killer“ über den spanischen Eroberer Hernán Cortés. Wieder so ein Zwölf-Minuten-Stück, in dem Young in langen Gitarrenpassagen schwelgt. Bei solchen Liedern steht er ganz nah bei Sampedro, den er seit 40 Jahren kennt und mit dem er Klassiker wie „Rust Never Sleeps“ und „Ragged Glory“ aufgenommen hat. Und ganz nah bei dem leise vor sich hin lächelnden Rick Rosas. Der sprang für Bassist Billy Talbot ein, der eine Woche vor der Tour einen leichten Schlaganfall erlitt. 20 Meter ist die Bühne breit, aber in diesen Minuten reichen den drei Männern vier Quadratmeter. Dann stehen sie so dicht beieinander, als spielten sie nur für sich in einem engen Proberaum. 68 ist Neil Young mittlerweile. Vor 45 Jahren, Ende der 60er, gründete er Crazy Horse. Schlagzeuger Ralph Molina ist von Beginn an dabei. Benannt hat sich die Band nach dem Häuptling der Lakota, der 1876 in der Schlacht am Little Bighorn an der Seite von Sitting Bull gegen General Custer kämpfte – und siegte. Neil Young kämpft auch. Für eine bessere Welt. Und für einen Moment, als am Montag der Abend langsam der Nacht wich, da wollte man gerne glauben, dass er seine Schlacht gewinnt.

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