Kaiserslautern Unberechenbares Überraschungs-Ei

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Mit etwa 70 Cent Eigenkostenanteil können Sie ein Überraschungs-Ei im Supermarkt erwerben. Sie wollen nicht vorher wissen, was drin ist; freuen sich auf die namensgebende Überraschung. Mit 478 Millionen Euro Steuergeld sind Sie alle am Bau des Berliner Stadtschlosses beteiligt. Was bei der Eröffnung 2019 drin ist: Überraschung! Seit der Grundsteinlegung 2013 wechseln die Pläne für die Schloss-Innereien so häufig, wie die bunten Figuren bei Ferrero. Erst soll die Landesbibliothek rein, dann doch nicht. Jetzt soll es eine Stadt-Berlin-Ausstellung werden. Wie die aussieht: Wer weiß? Immerhin steht fest, dass ein Teil der Räume mit asiatischer Kunst und Ethnologischem gefüllt wird. Und die Hülle des in der Größe beeindruckenden Gebäudes steht – beinahe. Sie ist, im übertragenen Sinne, feinste Chocolatiers-Kunst: eine schmucke Barockfassade. Einer in Berlin hat nun keine Lust mehr auf die Eierei. Manfred Rettig, Vorstand der Stiftung Berliner Schloss, gibt zum 1. März sein Amt auf. Einige Journalisten tun überrascht. Dabei hatte Rettig spätestens bei der Halbzeit-Baustellen-Beschauung im November klar gemacht: Wenn Anfang 2016 Intendant Neil MacGregor und Chefkurator Paul Spies kommen und alle bisherigen Innenpläne wieder über den Haufen werfen, dann ist er, Rettig, raus (wir berichteten). Denn die beiden für die Ausstellungen Verantwortlichen haben die Entscheidungsfreiheit, sich für das Schloss auch nochmal etwas ganz Anderes zu überlegen. In möglicher Folge müssten Wände verschoben werden, ganze Raumkonzepte überdacht und umgebaut werden. Ein Kuckucksei. Die Anzeichen dafür, dass es wirklich so kommen könnte, mehren sich. Rettig sagte nun dem „Tagesspiegel“: „Ich wollte ein Zeichen setzen.“ Und nimmt seinen Hut. Kulturstaatssekretär Tim Renner dazu: „Das ist ein bisschen so, als würde der Lotse von Bord gehen, weil eventuell Klippen kommen könnten.“ Kulturstaatsministerin Monika Grütters scheint das alles herzlich egal zu sein. Wie auch dem Rest der Hauptstadt-Polit-Elite. Aufhalten, so scheint es, möchte Rettig jedenfalls niemand. Dabei war er eine denkbar gute Besetzung für den Job. Rettig hat nicht nur bereits den Regierungsumzug von Bonn nach Berlin bravourös gemeistert, sondern hielt auch das Berliner Projekt bislang innerhalb der Kosten- und Zeitvorgaben. Vor allem aber: Da hat jemand kein Blatt vor den Mund genommen und sich nicht als Schönredner profiliert. Hat sein Herzensprojekt immer verteidigt, aber auch gesagt, wenn er Probleme ahnte. Auch im Abgang zeigt er sich konsequent. Weil: Ja, konsequent ist es, vor Mehrkosten durch nachträgliche Änderungen zu warnen und dann zu gehen, wenn niemand zuhört und nichts passiert. Dass es solche Menschen gibt, in der Kultur- und Baulandschaft, macht gleichzeitig Hoffnung. Obgleich Rettigs Abgang in der Personalsache bedauerlich ist. Den Vergleich mit dem Steuermann und den drohenden Klippen zu ziehen, ist hingegen fehl am Platz. Rettig ist zwar Bau-Kapitän, aber er hat nicht das Steuer in der Hand, wenn es um die inhaltliche Gestaltung des sogenannten Humboldtforums geht. Ein Großbauprojekt ist immer ein Risiko. Flughafen BER, Staatsoper Unter den Linden, Elbphilharmonie Hamburg. Und ein Kostenfresser. Aber sich in die Konstruktion zu stürzen, ohne klares inhaltliches Konzept ist unverantwortlich. Nun muss man eingestehen, dass – laut Hauptstadtmedien – auch beim Schlossbau bisher nicht alles so rosig lief, wie gedacht. Aus dem Puffer für Risikovorsorge sollen laut „Tagesspiegel“ bereits 7,8 Millionen Euro entnommen worden sein. Am konzeptionellen Grundproblem ändert das nichts. Im Gegenteil: Es wird den Risikotopf wohl noch weiter anfressen. Am 15. März ist die nächste Sitzung des Stiftungsrates. Manfred Rettig hat rechtzeitig den Warnhinweis auf dem Überraschungs-Ei gelesen: Achtung! Am Inhalt kann man sich verschlucken.

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