Kaiserslautern Umarmungen

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Fremde, exotische Töne, Orient versus Okzident; in diese Schubladen passt die Musik von Fazil Say nicht. Mit seinen Werken zeigt der Komponist und Pianist: Es ist alles Musik, die Musik von uns allen. Er spielte gemeinsam mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz im Rosengarten.

Wirklich fremd ist uns das nicht. Wir kennen die Instrumente, die dort als Sinfonieorchester auf der Bühne spielen. Es sind Geigen und Celli, Klarinetten und Trompeten. Und dann sind da noch Ney, Kanun und Kudüm – drei türkische Instrumente. Fazil Say hat für seine „Istanbul Sinfonie“ extra Solisten mitgebracht, die diese Instrumente beherrschen. Die drei Musiker sitzen vor dem Orchester. Umarmen klanglich das Ensemble und lassen sich zurückumarmen. Karl-Heinz Steffens dirigiert – und genießt. Auch die Musiker lassen sich manches Mal treiben. Ein heftiger Ludwigshafener Staatsphilharmonie-Klang im Forte geht so organisch in den Ton der Ney über, als hätten sie immer zusammengehört. Das lange Blasinstrument kann klanglich mit unserer Panflöte verglichen werden: holzig, weit, sehnsüchtig. Die Staatsphilharmonie ist seit Jahren auch in der Filmmusik zu Hause. Ein Glück für diese so anschauliche und dichte Interpretation. In seiner „Istanbul Sinfonie“ hat Say Eindrücke aus der Türkei, vertont: eine Moschee, die orientalische Nacht. Der 45-Jährige gilt nicht nur als musikalischer Mittler seines Heimatlandes, sondern als Enfant terrible und Rebell. Weil er sich gegen die restriktive türkische Regierung wendet. Weil er das mit sarkastischen Twitter-Nachrichten macht. Weil er deshalb wegen religionsfeindlicher Hetze angeklagt wird – Ende 2012 war das. Doch die Kuriosität der Dinge gibt ihm immer wieder Recht. Als eines seiner Werke von einem türkischen Konzertprogramm gestrichen wurde – zu rebellisch, zu viel Enfant terrible – wurde stattdessen Orffs „Carmina burana“ gespielt. Den Text hatte sich die Politriege wohl nicht zu Gemüt geführt. Es geht darin um Völlerei, Gesöff und Sex. Eine Zensur wurde zur Karikatur ihrer selbst. Fazil Say nennt sich Pianist, Komponist und Weltbürger. 2013 erfuhr die Welt, wie Menschen im Gezi Park demonstrierten und die Polizei mit Härte reagierte. Say komponierte. „Gezi Park 3“, eine Ballade für Mezzosopran, Klavier und Streichorchester, ist ebenfalls im Rosengarten zu hören. Sängerin Marianne Crebassa lässt ihre Stimme ziehen, hinaus schallen in die Welt, über Plätze auch in Parks, wenn man die Augen schließt. Gezi-Park. Sie singt kein Wort, nur „ah“ und „la“ und sagt damit mehr als so manch Anderer, der es wortreich versucht. Weil es Crebassa gelingt, ihre Stimme immer wieder anders zu formen, sie erst im scheinbar beiläufigen Spazierengehen singt, später beinahe schreit. Alle im Park drehen sich um, so meint man zu hören. Doch niemand versteht sie. Eine nuancenreiche, packende Interpretation. Der Komponist selbst am Klavier, das ist leichtes Spiel in den schnellen Sätzen, echt und nachdenklich in den langsamen. Dass Maurice Ravels Konzert für Klavier und Orchester G-Dur dennoch den schwächeren Part des Abends abgibt, liegt vor allem an der Stärke des übrigen Programms, aber auch an einer etwas zähen Orchesterinterpretation des Ravel-Werkes, insbesondere im zweiten Satz. Die Zuschauer stehen beim Schlussapplaus auf, was bewegend ist. Man denkt ein wenig an die Türkei, viel an Grenzen und daran, wie sie sich heute Abend in Umarmung aufgelöst haben.

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