Kaiserslautern Träum weiter und sing!

91-93538112.jpg

Die sanft fließende Melodie des Lieds „City of Stars“ wird man nicht mehr los. Die zuckersüßen surrealen Bilder auch nicht. Alles geht runter wie Öl in „La La Land“, dem zweiten Film des 31-jährigen US-Amerikaners Damien Chazelle, der schafft, was bisher nur Jacques Demy gelang: die Neubelebung des klassischen Hollywoodmusicals aus den 1940er und 50er Jahren mit eigener Handschrift.

„Mein Vorbild war Max Ophüls, der größte Meister der bewegten Kamera überhaupt“, sagt Damien Chazelle, Jahrgang 1985, Sohn eines französischen Informatikers und einer US-amerikanischen Autorin. Als Damien 13, 14 Jahre alt war, lebte die Familie in Paris, und der Teenager ging dort jeden Tag ins Kino. Das europäische Kino – auch die 60er- und 70er-Jahre-Musicals von Jacques Demy – war in seinem Kopf drin, als er wenig später begann, in Harvard zu studieren, in der Dokumentarfilm-Abteilung landete und Drehbücher schrieb. An der Uni begeisterte sich Chazelle für die MGM-Musicals, für Filme wie „Ein Amerikaner in Paris“ (1951) von Vincente Minnelli. Dem jungen Mann kamen sie paradox vor: kommerzielle Experimentalfilme! Das gefiel ihm. Er begann, die alten Filme auf DVD zu sehen und süchtig zu werden. Hatte so nicht auch die Karriere eines Wunderkindes namens Quentin Tarantino begonnen: mit dem Aufsaugen der Filmgeschichte? Chazelles erster Kinofilm „Whiplash“ (2013) war furios und hatte auch mit Musik zu tun: Die Geschichte eines jungen Schlagzeugers, der perfekt werden will und es nicht schafft, gewann drei Oscars. Es war ein persönlicher Film: Als Chazelle zehn, elf Jahre war, spielte er Schlagzeug. Später an der Uni war er in derselben Band wie Justin Hurwitz, der die Musik zu „Whiplash“ und nun auch zu „La La Land“ schrieb. Es ist Musik, die so leicht, weich und fließend daherkommt wie die Kamera, die schon in der Eingangssequenz zu tanzen beginnt. Auf dem Weg in die Stadt, nach Los Angeles, ist Stau auf dem Highway. Was die Autofahrer ganz gelassen sehen, sie drehen das Autoradio auf. Jeder hört etwas anderes, alles mischt sich – und explodiert: nicht vor Wut, sondern vor Freude. Plötzlich springen alle in die Luft, auf die Autodächer. Seit den Gangs aus der „West Side Story“ gab es keine so faszinierende Eröffnungs-Choreografie. Chazelle toppt sie, indem er ein extrem breites Cinemascope-Format nimmt und alle extrem hoch hüpfen lässt. Natürlich wirkt die gute Laune der bonbonbunten Sequenz (gedreht wurde nicht digital, sondern auf 35 Millimeter, das macht die Farben und Dekors so 50er-Jahre-mäßig) so ansteckend, dass sie auch noch nachwirkt, als es ruhiger wird und man Zeit hat, nachzudenken, ob die beiden, die man vorher schon kurz in getrennten Autos sah, nun zusammenkommen oder nicht. Mia (Emma Stone), die im Café der Filmstudios von Warner Bros. arbeitet, will Schauspielerin werden und ist auf dem Weg zu einem Casting, als sie in den Stau kommt. Auch Sebastian (Ryan Gosling) steckt im Stau fest, der Jazz-Pianist. Sie sehen sich sogar einmal kurz an, doch mehr passiert beim ersten Mal nicht, und auch beim zweiten nicht. So wie es sich für ein klassisches Hollywood-Musical gehört, in dem Verzögerungen und Missverständnisse handlungstreibend sind. Also erlebt man die beiden erst mal getrennt: Mia, die beim Vorsprechen keine Chance hat, und Sebastian, der notgedrungen in einem Restaurant als Barpianist anheuert, um Weihnachtslieder zu spielen. Irgendwann geht es mit ihm durch: Er spielt doch seinen geliebten Jazz und wird vom Restaurantbesitzer gefeuert (von J.K. Simmons, der für seine Rolle als Leuteschinder in „Whiplash“ seinen Oscar bekam). Mia ist zufällig da, hört Sebastian spielen und sagt ihm, dass es ihr gefallen hat. So kommt die Liebesgeschichte allmählich in Schwung. Die beiden ziehen zusammen, und erste Erfolge in Sachen Karriere stellen sich ein, aber es gibt auch Rückschläge. Schließlich trennt sich das Paar, und sieht sich erst fünf Jahre später wieder. Nun hat er seinen eigenen Jazzclub und sie ist eine bekannte Filmschauspielerin. Man ahnt schon, dass es nicht die Handlung ist, die den Reiz des Films ausmacht. Es ist das, was Chazelle aus dem ganzen Setting macht. Stone und Gosling sind kein Glamourpaar wie Fred Astaire und Ginger Rogers. Aber sie singen durchaus ordentlich, Gosling spielt auch selbst Klavier, die Pas-de-deux sind nicht zu kompliziert – und genau das ist es: Sie sind nicht perfekt (das war Catherine Deneuve in Demys „Die Regenschirme von Cherbourg“ 1964 auch nicht), sondern liebenswürdig mit ihren kleinen Fehlern und ansteckend mit ihrer Begeisterung beim Singen und Tanzen. Alles ist im makellosen Hollywood-Stil des goldenen Musical-Zeitalters inszeniert. Das zu schaffen, ist eine ähnlich große Leistung wie die von Michel Hazanavicius, der 2011 die Magie der Stummfilmzeit in „The Artist“ zurückholte. Die Songs und Choreografien sind hinreißend, purer Eskapismus, wie immer im Musical. Aber noch nie – auch nicht bei Demy – griffen die reale Welt und die erfundene Welt, die zum Hollywoodland dazugehört, so unvermittelt ineinander, dass man erst zweimal blinzeln muss, um zu entscheiden, ob man noch träumt oder schon lebt.

x