Kaiserslautern Schuss ins Herz

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Es ist das Thema der Stunde und treibt auch die Kulturschaffenden um. Theater und Orchester öffnen ihre Häuser und Konzertsäle, Museen lassen Flüchtlinge ohne Eintrittskarten in ihre Ausstellungen. Niemand will nicht dabei sein, von Udo Lindenberg über Til Schweiger bis Herbert Grönemeyer. Und wo selbst die Kanzlerin vielleicht zum ersten Mal in ihrer Amtszeit Pathos und Emphase zulässt, wer will es einem da verdenken, wenn einem ein Grönemeyer-Song ins Herz schießt, der von den Vorgängen der vergangenen Wochen noch gar nichts wissen konnte.

Kunst braucht das Fremde, das Andere. Schon immer. Das Andere ist das, was einem selbst fehlt. Zusammen erst kommt es zum gelungenen Werk, zur erfolgreichen Aufführung. Wer nur im eigenen Saft brät, dem gelingt selten Schmackhaftes. Angst vor dem Fremden ist Lähmung, aber sie ist ja dennoch da. Ist nachvollziehbar, wenn auch nicht immer berechtigt. Und auch das kann und soll Kunst, die ja doch eigentlich keine Nationalsprache sprechen kann: Angst nehmen. Brücken bauen. Menschen verbinden. Das hat nun eigentlich gar nicht so viel mit der aktuellen Situation zu tun. Gilt es doch schon seit je. Selbst die allergrößten Nationaldenker und -Dichter waren Kosmopoliten. Ohne Griechenland und Italien (ausgerechnet!) hätte es die Deutsche Klassik nie gegeben, deren Hauptvertreter Goethe mit seinem „West-Östlichen Diwan“ zugleich den ganz großen Brückenschlag wagte zwischen Orient und Okzident, zwischen Christentum und Islam. Zeiten waren das. Heute versuchen alle, Zeichen zu setzen. Gegen Fremdenhass. Gegen dumpfsinnigen Nationalismus. Für Menschlichkeit. Das beginnt mit Plakataktionen in Kaiserslautern und führt über die Mannheimer Eröffnungspremiere im Schauspiel bis hin zur ganz großen Pose bei Ai Weiwei und Anish Kapoor, die vergangene Woche in London Decken durch die Stadt trugen, um für einen menschlicheren Umgang mit Flüchtlingen zu demonstrieren. Im Heidelberger Theater wird unterdessen Geld gesammelt, damit Deutschbücher gekauft werden können, mit deren Hilfe die Mitarbeiter des Hauses den Flüchtlingen Unterricht geben können. Wo auch sonst sollte sie stehen, die Kunst? An wessen Seite sonst sollten sie sich aufreihen, die Musiker und Sänger, die Theatermacher und Künstler? Ihr Platz ist bei jenen, die vor Assads Giftwaffen ebenso fliehen wir vor den Henkern des IS. Und die direkt in Orbans Wasserwerfer und Polizeiknüppel laufen. Es braucht, im Kleinen, den langen Atem. Wir werden nicht durch einen Sommer, so groß die Katastrophe auch noch sich auswachsen mag, zu besseren Menschen. Schließlich sind all diese in Not Geratenen, die Schutz und Unterschlupf suchen, nicht erst gestern aufgebrochen. Sie sind schon lange unterwegs. Herbert Grönemeyer treibt das Thema schon viel länger um, nicht erst, seit es die Schlagzeilen beherrscht. Und er hat dazu einen der schönsten Popsongs des Jahres geschrieben. Klar, auch hier werden wir auf dem emotionalen Fuß kalt erwischt und schalten den Kopf vielleicht zu früh ab. Man könnte, wäre man böswillig, sicherlich auch von Betroffenheitskitsch sprechen, und würde dem Sänger mehr als Unrecht tun: „Hilf mir, dass mein Sturm sich legt,/ Dass meine Flucht endet und weicht,/ Leih mir einen Mantel, einen Weg,/ Dass mir eine Richtung bleibt,/ Und halt mich warm/ Mit deinem Feuerlicht“. Das liest sich wie der Begleittext zu der humanitären Katastrophe, die gerade auf uns zurollt. Wie eine Tonspur des Elends und der Not, die in unser Herz schießt. Grönemeyer appelliert an Empathie, an Mitleid, an Menschlichkeit. Das ist nicht alles, aber alles, was die Musik, die Kunst kann. Und damit ziemlich viel. „Hast du noch Liebe irgendwo,/ Steht vielleicht ein bisschen rum? Nur eine Minute/ Ruhig stehen/ Nur eine stille Nacht,/ Die sich kümmert, mich bewacht,/ die um mich weiß/ Und nicht schweigt.“ Das genau nämlich kann die Kunst am besten: nicht schweigen. Es geht jedoch auch ganz anders. Viel lauter. Bei den Ärzten zum Beispiel, die mit der Wiederbelebung ihres „Schrei nach Liebe“ dem ganzen Nazipack ein „Arschloch“ entgegenbrüllen. Auch dies ist ein, wenngleich weitaus weniger subtiler, emotionaler Appell. Bei Udo Lindenberg kommt dieser im Vergleich dazu dann vielleicht nuschelnd unter dem Hut hervorgekrochen. So unterschiedlich die Wege und Künstlerpersönlichkeiten jedoch auch sein mögen, sie alle erreichen so etwas wie ein glücklich machendes Zusammengehörigkeitsgefühl der Gutmenschen. Und das ist jetzt einmal wirklich positiv gemeint. Deutschland feiert sich selbst, weil wir besser sind: als das Bild, das die anderen von uns hatten; besser als das Bild, das wir selbst von uns hatten. Besser natürlich als Pegida. Und als die Ungarn. Sowieso. Niemand sollte deswegen auch Til Schweiger absprechen, dass er es ernst meint mit seinem Flüchtlingsheim. Wenn er denn nicht so laut polternd daher kommen würde. Das macht ihn so angreifbar wie ansatzweise auch fragwürdig. Man kann nämlich gar nicht glauben, dass ein einziger Sommer ausgereicht haben soll, um dieses Land so vollständig umzukrempeln. Und hat auch Angst, dass die Stimmung wieder kippen, die Mitmenschlichkeits-Euphorie wieder verfliegen könnte. Bei aller Begeisterung über den großen Einsatz, den Deutschland und die Menschen hier erbringen: Es ist dies alles erst ja nur der Anfang. Und niemand weiß wirklich, wie sich unsere Gesellschaft künftig verändern wird. Wohlgemerkt: All dieses Engagement, all dieses Begeisterung, all dieser ehrliche Willen zu helfen, ist ein ganz großartiges, beeindruckendes Signal, das wir in die ganze Welt aussenden. Deutschland verhält sich so, wie sich andere vielleicht gerne verhalten würde. So, dass man tatsächlich stolz ist auf dieses Land und seine Menschen. Nur darf dieses Glücksgefühl nicht allzu sehr den Blick auf die Realität eintrüben. Mit Euphorie alleine wird man das Flüchtlingsproblem nicht lösen können. Und auch die Kunst, die Kultur stünde damit vor einer Überforderung. So wie unsere gesamte Gesellschaft.

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