Kaiserslautern Schröder und Putin ganz groß

Bei der politischsten Buchmesse seit langem, wie es die Veranstalter versprachen, kam auch das politische Buch groß raus. Neben Biografien und Autobiografien bekannter Politiker steht Russland ganz oben auf der Aufmerksamkeitsskala.

Er ist wieder da. Und größer denn je. Vor zehn Jahren jagten die Wähler Gerhard Schröder wie einen Hund vom Hof, und keine Zeitung wusste Gutes über den Basta- und Brioni-Kanzler zu berichten. Heute gilt der Erfinder der Arbeitsmarktreformen als Vater eines kraftstrotzenden und modernen Deutschland. Der Chronist dieser wundersamen Wiederauferstehung ist Gregor Schöllgen. In einem bei DVA verlegten 1040 Seiten dicken Buch, das sich aber wegen seiner flotten Schreibe zügig liest, schildert er den Aufstieg Schröders aus armen Verhältnissen zum mächtigsten Mann der Republik. Vier Jahre lang hat Schöllgen den Ex-Kanzler begleitet, seine Privatakten und die Regierungsarchive durchforstet sowie Freunde und Gegner des Mannes befragt. Sein Buch bekundet Schröder Respekt, ohne in eine Lobeshymne zu verfallen. Er glaube, sagt Schöllgen im Gespräch mit der RHEINPFALZ, dass Schröder als einer der bedeutendsten deutschen Kanzler in die Geschichte eingehen werde, weil er den Reformstau der Kohl-Ära aufgelöst und die außenpolitische Rolle Deutschlands neu definiert habe. „Mich hat die Konsequenz überrascht, mit der er seine politischen Ziele verfolgte, und mich hat auch seine Fähigkeit überrascht, als falsch erkannte Entwicklungen zu korrigieren“, bilanziert Schöllgen. Letzteres sei bei Politikern eher selten. Schröders Freund Wladimir Putin und das von ihm regierte Riesenreich ist Thema gleich mehrerer politischer Bücher. Was ist das für ein Russland? Müssen wir vor diesem Land Angst haben? Ein diffuses Unbehagen an der Entwicklung verbreitet das Buch „Der Russland-Reflex“ der russischen Bürgerrechtlerin Irina Scherbakowa und des deutschen Osteuropa-Historikers Karl Schlögel (edition körber, 144 Seiten). Angst habe er nicht gerade, sagt Schlögel auf der Buchmesse, „Es ist eher das Gefühl der Ohnmacht, einen Zustand zu beschreiben, dem wir nicht gewachsen sind.“ Ganz anderer Ansicht ist der Fernsehjournalist Hubert Seipel. Er hat den russischen Präsidenten über ein halbes Jahr lang begleitet und mehrere Interviews geführt; daraus entstand sein Buch „Putin – Innenansichten der Macht“ (Hoffmann & Campe, 365 Seiten). Der Autor kritisiert, dass „komplexe Zusammenhänge auf eine Person reduziert“ würden, warnt davor, die deutsche Gesellschaftsordnung „über andere zu stülpen“ und billigt Putin das zu, was anderswo in Anspruch genommen wird: eine Politik, ausgerichtet an Interessen. Kein Buchherbst ohne Herfried Münkler. Seit einigen Jahren befasst sich der renommierte Berliner Politikwissenschaftler mit gewaltsamen Konflikten. In seinem neuen Werk „Kriegssplitter“ (Rowohlt, 400 Seiten) geht Münkler der Frage nach, wie sich die „Grammatik des Krieges“ im 21. Jahrhundert verändert. Münkler übersetzt die These von Clausewitz, dass es eigentlich nicht darum gehe, einen Gegner zu töten, sondern seinen Willen zu zerschlagen, in unsere Zeit. Propaganda, wie sie die Terrormiliz IS produziere, sei die modernste Waffe, weil sie Bilder liefere, die der anderen Seite ihren Willen rauben. Die Queen rennt auch nicht. Das hat Malu Dreyer als Überschrift zu dem Kapitel über Inklusion in ihrem Buch „Die Zukunft ist meine Freundin“ (Bastei Lübbe, 304 Seiten) gewählt. Der an Multiple Sklerose leidenden rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin macht der Vorwurf nichts aus, ihr schriftstellerisches Debüt habe mit der Landtagswahl 2016 zu tun. Leute, die vor einer Wahl stehen, sollten die Chance haben, die Frau, um die es geht, besser kennenzulernen, antwortet sie auf entsprechende Bemerkungen. Das Buch habe sie geschrieben, weil ihre Politik viel mit ihrer Lebensentwicklung zu tun habe. Richtig gerockt hat die Messehalle ein Politiker, der in dieser Woche der großen Politik Tschüss gesagt hat. „Ausstieg links? Eine Bilanz“ heißt die Reihe von Interviews, die Gregor Gysi mit dem Journalisten Stephan Hebel geführt hat (Westend, 219 Seiten). Im ARD-Forum in Frankfurt zeigte sich Gysi mal wieder als Alleinunterhalter mit Esprit, der auf seine Bundestagszeit so zurückblickt: „Wären die nett zu mir gewesen, wäre ich nach vier Jahren gegangen. Weil sie nicht nett waren, habe ich gedacht: Ich bestrafe sie, ich bleibe.“

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