Kaiserslautern Schiller im Regen, Wagner im Glück

Hansgünther Heyme hat elf Jahre und zehn Spielzeiten lang das Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen geleitet. Er hat hier sechs Opern, darunter einen kompletten „Ring“, und ein Dutzend Schauspiele inszeniert, hat Festspiele organisiert, Türkei-Wochen gestemmt, Theater mit Kindern, Jugendlichen, Laien gemacht. Frank Pommer und Dietrich Wappler haben einen letzten Rundgang mit dem scheidenden Intendanten durch die Stadt gemacht. Ein Gespräch über die Orte der Arbeit, des Erfolges, der Niederlagen.

Theater im Pfalzbau Der Hund muss noch versorgt werden. Jung, braun, zottelig, unerzogen. Gomez hat Heyme ihn genannt, nicht nach dem Mittelstürmer, sondern nach einem Theaterleiter in Madrid. Heyme hat dort einmal inszeniert, und Herr Gomez ist ihm in keiner so guten Erinnerung. Jetzt kann Heyme den Hund mit einem kraftvollen „Gomez!“ zur Ordnung rufen. Im Pfalzbau geht der Spaziergang los, im dämmerigen Flur des noch unsanierten Verwaltungstrakts, dessen abgehängte Decke Heyme herausreißen ließ, damit es wenigstens so aussieht, als ginge es hier baulich voran.

Heyme: Natürlich hat die Sanierung des Hauses unsere Arbeit hier entscheidend mitbestimmt. Geplant war ja, dass auch der Teil, in dem Verwaltung und Leitung sitzen, mit saniert wird. Dieser Bereich sollte quasi nach vorne wandern in Richtung Gläsernes Foyer, so dass man auch sehen, spüren, fühlen kann, dass hier Menschen arbeiten. Das war einer der wichtigsten Punkte, die nie verwirklicht wurden. Was die Festspiele betrifft, können wir auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken. Die Idee dahinter war ja, den Pfalzbau in der Metropolregion überhaupt erst einmal wahrnehmbar und konkurrenzfähig zu machen. Es ist gelungen, den Jahres-Gastspielplan aufzubrechen in verschiedene Partikel, die eine ganz eigene Wirksamkeit erzielten. Erfolgreich waren die Festspiele auch finanziell, weil dadurch der Etat des Hauses um eine halbe Million aufgestockt wurde und sich die BASF viel stärker an der Finanzierung beteiligt hat. Corso Nur ein Katzensprung ist es zum Corso. In dem einst schmucken Fünfziger-Jahre-Kino hatte das Theater zwei Spielzeiten lang Zuflucht gefunden, als der Pfalzbau saniert wurde. Heyme musste lange suchen, wollte schon ein Theaterzelt aufstellen am Rheinufer. Das Corso wurde ein ziemlich guter Theaterspielort, mit Bühne und alten Plüschsesseln. Heyme hätte das Theaterchen gerne als zweiten Spielort behalten, jetzt stehen hier Baucontainer und Müllsäcke. Heyme: Wir suchten nach einer Ausweichspielstätte und dachten zunächst einmal an ein Theaterzelt am Rhein direkt neben dem Ostasieninstitut. Dafür hatte ich auch 350.000 Euro von der BASF bekommen, doch die Stadt wollte die Folgekosten nicht tragen. So gab ich das Geld brav wieder zurück. Es drohte dann, dass wir zwei Jahre überhaupt kein Theater hätten anbieten können, weshalb wir sehr glücklich waren, als wir diesen herrlichen Kinosaal bekamen. Hier haben wir dann eine Bühne eingebaut und bekamen so ein ideales kleines Theater mit 220 Plätzen. Wenn man heute sieht, was daraus wurde und wird, dann kommt sehr viel Wehmut auf. Ich verspüre riesengroße Trauer, wenn ich sehe, was aus dem Corso gemacht wird. Hier hätte Jugendtheater, die freie Szene eine Heimstatt finden können, jetzt werden Einzelzellen für Studierende gebaut. Tortenschachtel Gleich gegenüber die „Tortenschachtel“: Ex-Kaufhof, Ex-Schnäppchenmarkt, Ex-Baudenkmal, jetzt zum Abriss frei gegeben. Für die „Tortenschachtel“ wurde in den 1960er Jahren der alte Pfalzbau abgerissen, dort ist Heyme noch als junger Schauspieler selbst aufgetreten als Ferdinand in „Kabale und Liebe“. Heyme: Früher stand an dieser Stelle der alte Ludwigshafener Pfalzbau, und ich weiß noch genau, dass wir hier mit allen Schauspielproduktionen aus Heidelberg gastiert haben. In der „Tortenschachtel“ haben wir, als das Gebäude zwischenzeitlich einmal leer stand, „Die Hose“ von Sternheim geprobt. Da kam die Idee auf, dass man hier Ateliers einrichten könnte für Fotografen, für Bildhauer, für Maler – eben für Künstler. Diese Idee ist ja im Umspannwerk der TWL – aber nicht im Zentrum – verwirklicht worden. Da gab es auch sehr viel Interesse an einer solchen Nutzung dieses Gebäudes. Der Berliner Platz – wäre kein Problemgelände. Rheinufer Vorbei an Straßenbahnhaltestelle und Weihnachtsmarkt und vielen eiligen Menschen zum Rhein. Jenseits von vier Fahrspuren herrscht überraschende Ruhe. Heyme hat hier im Schillerjahr einen Schiller-Radweg eröffnet, stand damals auf dicken Betonstufen am Fluss und deklamierte Schillertexte durchs Megaphon. Ein paar Meter weiter ist die Stelle, wo Friedrich Schiller den Rhein überquerte, auf einer wackeligen Holzpontonbrücke, unterwegs zwischen seinem Oggersheimer Exil im Wirtshaus und dem Nationaltheater, wo der Theaterhimmel lockte. Heyme: Hier an dieser Stelle habe ich im Schillerjahr 2005 eine meiner ersten Aktionen gemacht. Hier gab es früher eine Holzbrücke, an die auch die Plakette erinnert, und ich habe hier, aber eben auch draußen im Schillerhaus in Oggersheim und vor dem Pesch-Haus den Dichter rezitiert. Ich weiß noch genau, dass es in Strömen regnete, und die Oberbürgermeisterin und ihre Kulturdezernentin und viel Publikum standen mit Schirmen herum – genau da, wo Schiller einst den Rhein überquert hat. Mannheim Wie Schiller damals können heute die Ludwigshafener von hier aus sehr schön hinüber nach Mannheim blicken, wo immer schon mehr Tradition, mehr Kultur, mehr Theater war, was Ernst Bloch ja kurios als Standortvorteil für Ludwigshafen umdeutete. 1957 war Heyme im Nationaltheater Regieassistent von Erwin Piscator bei dessen legendärer „Räuber“-Inszenierung. Später wollte er dort Intendant werden, hat aber nie geklappt. Im nächsten Jahr macht er in Mannheim Shakespeares „Sturm“, nicht im Nationaltheater sondern mit einer Migrantentruppe im Problemstadtteil Neckarstadt-Ost. Heyme: Ich hätte damals gerne häufiger das Nationaltheater mit Schauspielproduktionen eingeladen, aber das hat nur im Schillerjahr geklappt. Ich selbst habe nie Schiller hier inszeniert, weil da die Konkurrenz Mannheims einfach zu groß gewesen wäre. Wir haben uns positioniert, indem wir beispielsweise auf die Antike gesetzt haben, mit der Mannheim nicht viel am Hut hat. Ich habe immer versucht, Gegensätzliches zu finden, und keine Inhalte zu doppeln. So habe ich die Präsenz des Nationaltheaters auf der anderen Seite des Rheins auch nie als Umklammerung empfunden, die einem die Luft nehmen würde. Ich hatte nie was gegen Mannheim, schließlich ist das meine Stadt, in der ich, neben Heidelberg, aufgewachsen bin und in der ich zu Beginn meiner Laufbahn sehr viel Theater gespielt habe. Allerdings würde ich schon sagen, dass es Ludwigshafen im Vergleich zu Mannheim ganz ungeheuerlich an Selbstbewusstsein mangelt. Und das gilt leider auch für ein Teil der Spitze dieser Stadt, welche meine Arbeit immer skeptisch beobachtet hat. Rathaus Am Ludwigsplatz kommt man an einem türkischen Möbelladen vorbei. Die weitläufigen Verkaufsflächen standen eine Weile leer und dienten Heyme einmal als Probebühne. Im Pfalzbau gibt es so etwas ja nicht. Jetzt sind wir auf dem Rathausplatz angekommen, und Heyme gerät schnell in Rage, wenn er auf die vielfältigen Behinderungen seiner Arbeit zu sprechen kommt, die für ihn in diesem Haus ihren Ursprung haben. Heyme: Das Thema Geld, besser gesagt zu wenig Geld für die Kultur, hat mich mein ganzes Berufsleben begleitet, das war hier auch nicht anders, spätestens seit der ersten Überziehung meines Etats und der darauffolgenden zweiten, die vom Kulturausschuss mitgetragen wurde. Nur so waren schließlich die Festspiele möglich. Später kam diese Überziehungssumme von 350.000 Euro dem Etat zu Gute. Und ich mag es nicht glauben, dass diese Überziehung von mir beabsichtigt war, schließlich war ich ja 13 Jahre Intendant und Geschäftsführer der Ruhrfestspiele. Die Verwaltung des Theaters hat aber auch nie gewarnt. Ich habe fast überall, wo ich war, intensiv mit SPD-Politikern zusammengearbeitet, und auch in Ludwigshafen hatte ich zunächst ein total gutes Verhältnis zur SPD und ihren kulturpolitischen Sprechern und Fraktionsvorsitzenden. Wie es dann zu diesem am Ende so schwierigen Verhältnis kam, das kann ich nicht sagen. Entscheidend war sicherlich das „Ring“-Projekt, das von der SPD im Stadtrat von Beginn an abgelehnt und richtig aggressiv bekämpft wurde. Man war der Meinung, dass so etwas einer Stadt wie Ludwigshafen nicht zustehe, dass Wagner die Menschen hier überfordere. Man hat dann ein Projekt mit Drogenabhängigen gekippt, mit denen ich eng zusammengearbeitet habe. Auch unserer Bedürftigen-Essen in Frage gestellt. Der Sozialdezernent meinte beispielsweise, er unterstütze das nicht mehr, weil da ja auch Penner aus Mannheim dabei seien. Was ich nicht verstehen kann ist: Dass mir niemand irgendeine Erklärung dafür geben kann, warum ich hier nicht weiterarbeiten soll. Ich habe meinen Vertrag selten freiwillig beendet – überall bin ich quasi rausgeflogen, in Essen waren es Kämpfe gegen die ortsansässige Rüstungsindustrie, in Stuttgart plante ich ein Stück über Hitlers Lieblingsnazi, Erwin Rommel, dessen Sohn dort Oberbürgermeister war. Ich wusste immer, warum man mich loswerden wollte. In Ludwigshafen weiß ich das nicht. Philharmonie Hier, zwischen Heinigstraße und Arbeitsamt, hat Heyme sein größtes Glück gefunden in dieser Stadt. Karl-Heinz Steffens, Chefdirigent der Staatsphilharmonie, machte ihm den ziemlich wahnwitzigen Vorschlag, in Ludwigshafen Wagners „Ring“ aufzuführen. Für Heyme, der schon mehrfach in der Oper Regie geführt hatte, ging ein langgehegter Wunsch in Erfüllung. Kooperationspartner war das Opernhaus in Halle. Heyme: Wir haben von Beginn an mit der Staatsphilharmonie zusammengearbeitet, etwa bei dem Projekt „Deine Lieder für uns“ oder einer „Dreigroschenoper“. Als dann Karl-Heinz Steffens Chefdirigent der Staatsphilharmonie wurde, lud er mich zu einem gemeinsamen Mittagessen ein, bei dem er mir erzählte, wie toll er meine Kaiserslauterer „Elektra“-Inszenierung gefunden habe. Und dann machte er den Vorschlag, Wagners „Ring“ zu inszenieren, was tatsächlich eine Art Lebenstraum von mir war. Wobei mein Verhältnis zu Wagner immer ein gespaltenes war. Es wurden dann vier wahnsinnige und erfolgreiche Jahre. Dem Gegen-Mief, den es in Ludwigshafen ja auch gab, sind wir begegnet, indem wir diesem „Ring“ eine ganz breite Basis in der Stadt, gerade auch zusammen mit Jugendlichen, gegeben haben. Das hat den Großteil meiner Kraft gebunden, das Inszenieren war ein Leichtes. Und die Widerstände aus Mannheim, wo die ehemalige Intendantin des Nationaltheaters mit aller Macht versucht hat, mich von diesem „Ring“ abzubringen, auch indem sie mir versprochen hat, ich dürfe bei ihr alles inszenieren, was ich wolle, wenn es nur diesen „Ring“ nicht geben wird. Diese Widerstände haben mich eher dazu animiert zu sagen: Wir machen das jetzt erst Recht. Und für Ludwigshafen war dies auch sensationell. Ein Göttergeschenk für die Stadt. Wilhelm-Hack-Museum Gleich gegenüber, nur getrennt vom winterlich trägen Hackgarten mit Weihnachtstanne und Riesengartenzwerg, kommt das Wilhelm-Hack-Museum, das zum Ludwigshafener Kultur-Netzwerk gehört, das Heyme in vielen Gesprächen und gemeinsamen Projekten geschaffen hat. Auch mit dem Ernst-Bloch-Zentrum, dem Jugendtheater Speyer, dem Offenen Kanal und anderen arbeitete Heyme eng zusammen. Heyme: Die fruchtbarste Kooperation mit dem Hack-Museum war 2006 unser Tanztheaterprojekt, für das der italienische Künstler Fabrizio Plessi die Ausstattung geliefert hatte. Parallel dazu gab es eine gigantische Plessi-Ausstellung im Museum, zudem eine kleine im Gläsernen Foyer. Grundsätzlich habe ich versucht, mit allen Institutionen der Stadt so eng wie möglich zusammenzuarbeiten. Und auch über die Grenzen der Stadt hinaus, beispielsweise mit dem Kinder- und Jugendtheater Speyer oder mit der Nibelungenhorde in Worms. Besonders wichtig war das Bloch-Zentrum, ich wäre wahrscheinlich nie nach Ludwigshafen gekommen, wenn ich Bloch nicht gut gekannt hätte, wir haben einige Produktionen gemeinsam gemacht. Und ich habe jede Zeile von ihm gelesen. Alle Motti unserer Festspiele sind zusammen mit dem Bloch-Zentrum entwickelt worden – und der ganze „Ring“ stand unter den Postulaten Blochs. Der Spaziergang ist jetzt zu Ende, Heymes Zeit im Pfalzbau in zwei Tagen auch. Er hat nicht weit zum Theater, wo Gomez wartet. Bald wird es regnen oder schneien, die Stadt sieht gerade besonders grau aus. Mit Hansgünther Heyme war es irgendwie bunter hier.

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