Kaiserslautern Posieren wie Marilyn

Andernorts stehen Berlin-Besucher vor verschlossenen Türen. So etwa vor dem Pergamonmuseum oder der Neuen Nationalgalerie, die ab Januar für mehrere Jahre saniert wird. Oder vor Großbaustellen wie dem Schloss mit dem Humboldt-Forum, die noch nicht abgeschlossen sind. Derweil ist die Wiedereröffnung des Ausstellungshauses C/O Berlin mehr als ein Lichtblick für die Hauptstadt in diesen Tagen. Und auch am Kulturforum bewegt sich was.

Stephan Erfurt, Marc Naroska und Ingo Pott, die drei privaten Initiatoren von C/O Berlin, dürfen aufatmen: Nach zwei Jahren ohne eigene Räume und 12 Jahren im Postfuhramt in Berlin Mitte drücken sie nun im Westen auf die Tube. Am Bahnhof Zoo, wo der disparate Charme der Straße herrscht, keine Immobilien-, Kunst- oder Touriblase. Genau der richtige Ort für ein Mekka der lebensnahen Fotografie, das die Realität in immer neuen, denkwürdigen Momenten spiegelt. Draußen vor der Tür des 1957 von Bruno Grimmek erbauten Amerika Hauses prallen Gegensätze aufeinander: Waldorf-Astoria-Schick und Obdachlosigkeit, Armut und hippes Design. Das Kulturangebot scheint noch ausbaufähig. „Hier entwickelt sich viel. Die Umgebung ist ideal. Wir wollen zusammen mit dem Museum für Fotografie und der Helmut Newton Stiftung eines der großen Cluster für Fotografie in Deutschland sein“, sagt Kurator Felix Hoffmann. Drinnen, im denkmalgerecht sanierten Nachkriegsgehäuse, geht es vielfältig zu. Die Ausstellungsfläche ist mit 2300 Quadratmetern sogar 20 Prozent größer als früher und vollklimatisiert. Zweieinhalb Millionen Euro hat C/O Berlin investiert. Für die gemeinnützige Stiftung, die sich durch Lottomittel, Crowdfunding und Sponsoren finanziert, gibt es keine institutionelle Förderung – dafür eine saftige (ortsübliche) Miete an das Land Berlin. Präsentiert wird zum Auftakt ein beziehungsreicher Mix aus Klassikern, jungen Talenten und autorenloser Fotografie. Will McBride war 1957 der erste Fotograf, der im Amerika Haus ausstellte. Nun ist der 83-Jährige wieder da. Im Dienst der US-Armee kam er als junger G.I. nach Deutschland. Er wohnte eine Weile in Berlin und rückte das trotz Trümmern und Tristesse beschwingte Lebensgefühl bis zum Mauerbau ins Bild. Daneben sind 100 Kontaktbögen bekannter Magnum-Fotografen zu betrachten. Sie geben Einblick in die Entstehung des entscheidenden Moments. Ikonen wie René Burris berühmtes Konterfei Che Guevaras vom Januar 1963 etwa oder wunderbare Schnappschüsse von Elliott Erwitt. Es sind Relikte einer vergangenen Zeit und Technologie. Denn mit der Digitalisierung ist der Kontaktbogen nur noch ein Phänomen der Archivierung und selbst Artefakt. So erzählt diese Schau auch vom Glanz einer verlorenen Kunstform. Ob Bilder je wieder so groß(artig) werden können wie in der analogen Fotografie? Was für gut befunden wurde, lässt sich an den Kontaktbögen studieren. Anlass für die C/O-Gründung im Jahr 2000 war eine Magnum-Retrospektive gewesen, die damals – in ganz Deutschland – keinen Standort fand. Bis Stephan Erfurt kam und Flächen im Postfuhramt mietete, um sie doch noch zu ermöglichen. Zur Erinnerung schmücken nun die historischen Magnum-Momente die Wände. Außerdem können sich die Besucher im Stil von Magnum-Fotografen in eigens dafür konstruierten Fotoautomaten ablichten. Beim Selfie kommt Laune auf: Posen à la Marilyn – wow! Wer testen will, wie Philippe Halsman oder Martin Parr ihn inszenieren, sollte i-Phone und Kreditkarte bereithalten. Fünf Euro kostet der Spaß (zugunsten der unabhängigen Fotoagentur). Auch das wieder eröffnete Kunstgewerbemuseum wurde auf Initiative von engagierten Bürgern gegründet. Dies bereits vor 150 Jahren. Es ist das älteste seiner Art in Deutschland und erfuhr jetzt ein Lifting. Bestückt vom Welfenschatz bis zum Chanel-Kleid mit spannenden Objekten, kennen es wenige. Zu abschreckend wirkt das Gebäude von Rolf Gutbrod am Kulturforum. Auch die dreijährige Aufhübschung durch das Architekturbüro Kühn Malvezzi hat dem labyrinthisch verwinkelten Haus für Kunst, Mode und Design nur wenig gebracht. Die Anordnung ist immer noch gewöhnungsbedürftig, der Charakter des Museums klaustrophobisch. Etwas mehr Mut zur Farbe hätte dem Beton gut getan. Nie weiß man so recht, in welche Richtung man laufen soll, um zum Beispiel die Mode der Mozart-Zeit oder die Jugendstil-Vasen zu finden. Immer noch ein Trauerspiel also diese verbockte Architektur von 1967, die erst 1985 realisiert wurde und schon zur Eröffnung „nicht ganz zeitgemäß“ war, wie Architekt Wilfried Kühn betont. Vor zehn (!) Jahren erhielt sein Architekturbüro den Auftrag, die Situation zu verbessern. Das Budget sei für einen großen Umbau zu gering gewesen. Nun wurde nur die Hälfte der Fläche umgestaltet – für 4,3 Millionen Euro. Hier wurde an der falschen Stelle geknapst. Wer den Eingang über die schiefe Ebene der Piazetta am Kulturforum gefunden hat, darf sich auf eine tolle Modesammlung freuen. Die mehr als 100 Kostüme – vom eleganten Hut über winzige Schühchen bis zum Büstenhalter aus dem Jahr 1910 – sind der Hammer! Die prächtigen Roben stammen von Worth, Dior, Versace und vielen anderen und übermitteln einen sehr guten Einblick in drei Jahrhunderte europäischer Modegeschichte. Möglich wurde dieser durch die 2009 angekaufte Modesammlung von Martin Kamer und Wolfgang Ruf. Sie stellt eine echte Bereicherung dar. 7000 Quadratmeter stehen insgesamt für Roben und Reliquare, königliche Zahnbürsten und Bugatti-Salon zur Verfügung. Alle Etagen sind mit roten Beschriftungen versehen, die den Weg zur Mode oder zur Neuen Kunst weisen. Darunter versteht man hier Exponate von der Renaissance bis zum Art Deco. Im Untergeschoss gibt es eine neu gestaltete Design-Abteilung. Dort posieren jede Menge Stühle, ein grauer Fernseher der Marke Braun aus dem Jahr 1958 oder das witzige Ensemble der italienischen Designergruppe „Memphis“, die in den 80er-Jahren freche Entwürfe zu Regalen oder Leuchtern lieferte. Das liegt uns heute näher als barocke Humpen und die hohe Silberschmiedekunst. Den brutalistischen Betonbau am Kulturforum haben die Bürger, die vor 150 Jahren den Anstoß für das „Deutsche Gewerbemuseum“ gaben, nicht vor Augen gehabt, als sie „die Schulung des guten Geschmacks“ anstrebten. Ab 1881 war das Kunstgewerbemuseum im Martin-Gropius-Bau zu Hause, ab 1921 im Stadtschloss. Heute ist es mit dem guten Geschmack auch nicht weit her. Umso wichtiger erscheint eine solche Fundgrube mit ihren Schätzen.

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