Kaiserslautern Passt in keine Schublade

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Zum zweiten Mal in diesem Jahr präsentierte sich Andreas Kümmert in der Kammgarn, und sein Gastspiel auf seiner Acoustic-Tournee am Freitagabend war vielleicht noch besser als das im Mai. Er ist eben unverwechselbar. Ein Kämpfer gegen den Strom. Nicht zuletzt bewies er das, als er im März im deutschen Vorentscheid zum Eurovision-Song-Contest als klarer Sieger hervorging, den Sieg aber der Zweitplatzierten Ann-Sophie überließ.

Kahlkopf geölt, Vollbart gepflegt, Trainingsjacke, Bauchumfang noch eine Idee weiter – so sitzt er vor dem Mikrofon. Die Gitarre liegt auf dem Oberschenkel. Mit den ersten Takten zeigt sich, dass Andreas Kümmert auch musikalisch ein Schwergewicht ist. Unplugged beginnt er, ohne Begleitung. Dass aber seine Gitarre seine Geliebte sei, wie bei anderen Musikern, kann man nicht behaupten. Die würde er sicherlich nicht so traktieren. Ohne Erbarmen behandelt er die Saiten, dass sie fast explodieren. Wenn er perkussiv in die Saiten greift, klingt das fast wie eine komplette Big Band. Und erst die Stimme. Die nimmt vom ersten Moment an gefangen. Seine Intensität, Hingabe, Natürlichkeit und rhythmische Kraft sind umwerfend. Vergleiche mit Joe Cocker sind abwegig. Kümmert lässt sich in keine Schublade stecken. „I breathe in“ ist alles andere als ein Flüstern. Die Worte scheinen förmlich zu explodieren. Genau wie in dem folgenden rockigeren Song „Solong“. Die Akzente kommen wie gemeißelt. Bei Stevie Wonders „Easy“ versteht er es, seine ungemein flexible Stimme vom schmiegsamen Soul-Gewisper bis zum ekstatischen Rock-Crescendo hinaufzuschrauben. Balladen wie „Home is in my Hands“ oder „Heart of Stone“ (mit denen er den Song Contest mit 78,7 Prozent gewann), „Simple Man“, „Just like you“ oder „Avalanche“ vereinen in seinem Vortrag erdige Wärme und Subtilität mit kraftvoller Originalität. In der Fähigkeit, den Ton auf die vielfältigste Weise zu verändern und mit emotionalen Inhalten buchstäblich aufzuladen, ist er vielen Sängern überlegen. Ungewöhnliche Akzente setzt er mit ungewöhnlichen Mitteln. Plötzliche Wechsel des facettenreichen Timbres, vorbildlich kontrollierte Dynamik. Selbst Coversongs wie „To love somebody“ erscheinen wie seine eigenen, indem er sie auf die originellste Weise fragmentarisiert. Obwohl niemals Zweifel besteht, um welchen Song es sich handelt, glaubt man doch, er erfinde spontan – hier und jetzt – ein völlig neues Stück. Denn seine Interpretationen sind gespickt mit atmosphärischen Wechselbädern, unerwarteten Stimmungsumschwüngen, mit explodierenden Rhythmuswechseln. In jeden Song legt er unendlich viel Gefühl. Mit jedem Lied gibt er alles, singt er sich die Seele aus dem Leib. Dabei phrasiert er, bei schier unendlichem Atem, wie ein Saxofon, zieht mit seiner Stimme Loopings wie ein Kunstflieger. Und fast jeder Song hat einen leichten, tragischen Unterton, dass es tief unter die Haut geht. Die Zuhörer hängen an seinen Lippen und umjubeln jeden Song mit tosendem Beifall. Bekannte Titel singen sie sogar Wort für Wort mit. In Sebastian Bach und Michael Weippert hat Kümmert zwei prächtige Kollaborateure. Weippert trommelt hart und dicht, dann wiederum zurückhaltend dezent. Bach begleitet am Keyboard mit flüssigen Arpeggien oder traktiert die Tasten mit den Handballen, wenn es rockig-soulig wird. Lediglich drei Zugaben gewährte Kümmert dem begeisterten Publikum, das ihm noch lange hätte zuhören wollen.

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