Kaiserslautern „Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant …“

Vor 100 Jahren herrschte in Europas Hauptstädten schiere Kriegsbegeisterung. Nicht in Prag: Der „tapferste“ Held unter den Tschechen war eine literarische Figur – „Der brave Soldat Schwejk“, der mit intelligenter Idiotie gegen den Krieg ankämpfte und als Antiheld Weltruhm erlangte. Eine Hommage.

In vielen Ländern haben sie ihm Denkmäler gebaut, aber nicht in der böhmischen Heimat. Erst 93 Jahre nach Erscheinen des Romans „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk während des Weltkriegs“ von Jaroslav Hašek gönnten auch die Tschechen ihrem weltberühmten Antihelden eine Statue. Seit Ende August steht sein bronzenes Ebenbild an der Dorfstraße im verschlafenen 500-Seelen-Nest Putim, 1,80 Meter groß und 200 Kilo schwer; auf dem runden Kopf eine zu große Kappe, die mollige Gestalt in einen Soldatenmantel gehüllt. Das Dorfgasthaus hat sich auf Besucher schon eingerichtet, es dient zugleich als Theater: Hinter der Bretterbühne hat man den Schwejk als Comic-Figur an die Wand gemalt, gleichsam das Bühnenbild. Im Roman verirrt sich der schlitzohrige Prager Hundehändler Josef Schwejk in das schmucklose, südböhmische Kaff, als er 1914 für den Wiener Kaiser in den Krieg ziehen und sich bei seinem Regiment in Budweis stellen sollte. Weil er den Zug verpasst und das Geld für die Fahrkarte versäuft, muss er sich zu Fuß auf den Weg machen. Tagelang wandert er im Kreis, bis er wieder nach Putim kommt. Dieses Mal nimmt ihn die Gendarmerie fest, weil sie ihn für einen russischen Spion hält. „Die Tschechen mochten den Schwejk lange nicht“, erzählt der Prager Literaturhistoriker Radko Pytlik, weil er im Ausland als Inbegriff ihres Nationalcharakters gilt. Švejkováni, schwejkeln, nennen Tschechen selbst opportunistisches Verhalten. Der Schwejk drückt sich vor dem Fronteinsatz, er schafft es immer wieder, bei Offizieren als Lakai unterzuschlüpfen, oder – wie es im österreichischen Militärjargon hieß – wegen Insubordination ins Gefängnis zu kommen. Kurt Tucholskys Charakterbild aus dem Jahr 1922 gilt noch heute: „Herr Schwejk ist dumm-pfiffig, klein, völlig unbekümmert um alles, was mit ihm geschieht, aber voll des größten Interesses für alles, was um ihn herum vorgeht. (…) Oft fragt man sich bei so viel Unbekümmertheit, ob er spaße. Nein, es ist ihm nur leicht ums Herz.“ Pytlik, der eine vielbeachtete Biografie über Hašek schrieb, hält Schwejk indes für eine „viel komplexere Figur“. Dem Erfinder Hašek sei es auch ein Anliegen gewesen, mit absurdem Humor die Torheit und Brutalität totalitärer Systeme bloßzustellen. Wenn Schwejk mit böhmischem Zungenschlag die Floskel „Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, …“, aufsagt, macht er allein damit schon die gesamte K. u. K. Armee lächerlich. Hašek versprüht seinen subversiven Witz gerne in Szenen, in denen es Schwejk mit österreichischen Autoritäten zu tun bekommt. So trifft er in seiner Stammkneipe U Kalicha (Zum Kelch) den Polizeispitzel Bretschneider, der ihn arglistig ausfragt, ob er die Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajevo nicht auch als großen Verlust empfinde. „Ein furchtbarer Verlust“, heuchelt Schwejk mit unterwürfiger Geste, die nahtlos in Majestätsbeleidigung umschlägt: „Der Ferdinand lässt sich nicht durch jeden beliebigen Trottel ersetzen.“ Schwejk wird verhaftet, aber davor verabredet er sich mit einem Kumpel, er werde „nach´m Krieg um sechs Uhr abends“ wieder auf ein Bier im Kelch sein. Der Krieg – bloß lästige Störung seines Trinkeralltags. Den Kelch in der Na Bojišti im zweiten Prager Bezirk Vinohrady gibt es noch heute und Bretschneider sitzt als Holzfigur im Flur. Auch ein Bild vom alten Franz Joseph I. hängt wieder an der Wand. Im Roman sieht der kaiserliche Schnüffler an der Stelle nur einen hellen Fleck, worauf ihm der Wirt Palivec schlitzohrig gesteht, er habe den Kaiser abgehängt, weil „die Fliegen ham auf ihn geschissen“ und er wolle nicht, dass er durch blöde Bemerkungen der Zechbrüder Probleme mit der Polizei kriege. In Wien argwöhnte man schon früh, Hašek habe mit dem Schwejk einen komödiantischen Racheengel für 300 Jahre österreichische Herrschaft über Böhmen und Mähren geschaffen. Heute spielt der Schwejk für Dutzende Restaurants in Tschechien den Schutzheiligen ihrer Umsätze. Doch ausgerechnet der Kelch genießt einen denkbar schlechten Ruf. Prager betreten die Kneipe, die mit der ursprünglichen nichts mehr gemein hat, nur auf Bitten ausländischer Besucher. Sie verachten den Vermarktungskitsch, finden die Küche miserabel und das Personal unfreundlich. Schwejk-Geschichten erschienen bereits vor dem Krieg in loser Folge in Zeitungen und Broschüren. Wobei die Titelfigur sich mit der Zeit wandelte: Der Ur-Schwejk war mal ein phrasendreschender Zimmermanngeselle, mal ein schrulliger Schulmeister. Den Schwejk im Soldatenrock des Wiener Kaisers erfand Hašek erst nach Kriegsende. „Die Erfahrungen haben ihn zum Pazifisten gemacht“, erzählt Biograf Pytlik. Hašek hatte ein kurzes, abenteuerliches Leben. Nach der Handelsakademie sollte der Junge einen seriösen Beruf erlernen; aber den Bankenjob hatte er schnell satt, er entschied sich für die Schriftstellerei. „Dafür brauchte er die Wirtshausatmosphäre wie die Luft zum Atmen“, sagt Pytlik. Zum Kelch waren es nur wenige Schritte von seiner Wohnung in der Školská ulice (Schulgasse) Nummer 16. Die Ehe zerbrach frühzeitig, dann kam der Krieg. Von der K.u.K.-Armee war Hašek zur Tschechischen Legion übergelaufen, die an der Seite der Russen gegen die Österreicher kämpfte. Nach der Oktoberrevolution 1917 wandelte er sich zum Bolschewiken und landete bei der Roten Armee. Ende 1920 kehrte er heim nach Prag und nahm, als wäre nichts gewesen, sein früheres Leben als Schriftsteller und Säufer wieder auf. Er starb, kaum 40 Jahre alt, am 3. Januar 1923 im südböhmischen Lipnice an den Folgen übermäßigen Alkoholkonsums. Zu Lebzeiten hatte man ihn als Schriftsteller nicht ernst genommen, seine Werke hielt man für Trivialliteratur. Erst die deutsche Ausgabe seines Schelmenromans 1925 brachte den internationalen Durchbruch.

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