Kaiserslautern Mehr Hirn, als man denkt

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Morgen wird Sylvester Stallone 70 Jahre alt – und kämpft immer noch um die Anerkennung der Intellektuellen. Es gibt viele Episoden von diesem als hirnlosen Haudraufboxer und Gewehrballerer bekannten Filmschauspieler, die man nicht kennt. Weil sie nicht zu seinem Image und unseren Vorurteilen passen.

Europa ist schuld. In den beiden Jahren, die er in einem Elite-Internat in der Schweiz verbrachte, spielte Sylvester Stallone zum ersten Mal Theater: „Tod eines Handlungsreisenden“. Der dünne Junge mit dem Sprachfehler verliebte sich in den Applaus, den er bekam. Zurück in den USA, begann er Theaterwissenschaften zu studieren. 1977, mit „Rocky“, war Stallone dann auf einer Höhe mit Charlie Chaplin und Orson Welles. Da war er für denselben Film für zwei Oscars nominiert: als Drehbuchautor und Hauptdarsteller. Das hatten vorher nur diese beiden Größen der Filmgeschichte erreicht. Chaplin und Welles bekamen Oscars, Stallone wartet bis heute. Auch in diesem Jahr, als er nach fast 40 Jahren endlich wieder nominiert war, nun als bester Nebendarsteller für „Creed – Rocky’s Legacy“, wurde es wieder nichts. Denn eigentlich wollen die Akademie-Mitglieder nichts zu tun haben mit einem Kollegen, der seine Beliebtheit und seinen Ruhm seinen Muskeln verdankt. Zum Muskelpaket wurde Stallone, weil er den Rat seines Vaters befolgte: „Du bist nicht mit besonders viel Verstand auf die Welt gekommen, du tust gut daran, deine Muskeln zu trainieren.“ Das soll der Vater, ein Friseur aus der New Yorker Unterschicht, zu seinem Sohn gesagt haben, als dieser ein Teenager war: Damals flog „Sly“ dauernd von den Schulen, weil er auf alle einprügelte, die ihn hänselten. Dabei war er schmächtig und dazu leicht behindert. Bei seiner Geburt wurde die linke Gesichtshälfte gedrückt, eine bleibende Lähmung war die Folge – und ein Sprachfehler, der ihn dem Gespött aussetzte. Zum Glück heiratete Stallones Mutter nach ihrer Scheidung einen Pizzabäcker, kam zu Wohlstand, schickte den Sohn ins Internat und aufs College. Dort trainierte der schmächtige junge Mann sich die Muskeln an. Wie andere einsame US-Jungs mit unglücklicher Kindheit (Steven Spielberg, Martin Scorsese) verbrachte er seine Jugend im Kino. Abenteuerfilme hatten es ihm angetan. Und er träumte davon, zum Gewinner zu werden. Davon handeln die meisten Drehbücher, die er schrieb, nachdem es mit der Schauspielkarriere – Debüt im grauenhaften Porno „Der italienische Deckhengst“ 1970, kleine Rollen in Woody Allens „Bananas“ und in Alan J. Pakulas „Klute“ – nicht so richtig voranging. Sein „Rocky“-Drehbuch aber, die Frust-Story vom weißen erfolglosen Boxer aus Philadelphia, der die Chance bekommt, gegen einen schwarzen Champion namens Apollo Creed anzutreten, kam gut an. Das Hollywood-Studio United Artists bot Stallone 150.000 Dollar für das Drehbuch, die er ablehnte, denn er wollte die Hauptrolle spielen und eine Beteiligung haben. Später willigte das Studio ein: „Rocky“ (1976) wurde der große Überraschungshit, ein typisch amerikanisches Aufsteiger-Thema. Heute gilt der Streifen neben Scorseses „Wie ein wilder Stier“ (1980) als der Boxer-Spielfilm schlechthin. Natürlich waren die Fortsetzungen (fünf bis 2006; meistens auch Drehbuch und Regie) längst nicht so gut. Bis 2015, als Stallone in „Creed“ (den er nicht selbst schrieb) den Boxtrainer von Apollo Creeds Sohn spielte. Der Film ist mehr Psychostudie denn Boxdrama. Dazwischen liegt vor allem Stallones zweite große Kino-Serie um „Rambo“. Auch hier ist der erste Film von 1982 der beste, Stallone schrieb das Drehbuch und untermauerte sein Image des kämpfenden Underdogs. Es ist Stallones politischster Film, eine Anklage gegen den Krieg, denn er spielt einen Vietnamveteran, der wegen einer Lappalie von der Polizei gejagt wird und ihr einen Guerillakrieg liefert. „Rambo“ (Regie: Ted Kotcheff) ist wortkarg, hat tolle Bilder und zeigt das andere, das böse Amerika, in dem nur überlebt, wer sich den Regeln der Gesellschaft unterwirft. Aus Sicht der Filmkunst ist es bis heute Stallones bester Film. Die drei Fortsetzungen (bis 2008) waren reine Geldmacherei, Blockbusterkino für die Unterschicht, Unterhaltung mit Blut und Kampf. Wenn Stallone sich zwischendurch in anderen Sparten versuchte wie Komödie („Oscar“, 1990), Science-Fiction („Judge Dredd“, 1995) und Katastrophenfilm („Daylight“, 1996), ging es schief, weil es nicht dem Bild entsprach, das die Fans von ihm hatten. Erst mit 64 schaffte er es, mit „The Expendables“ (zwei Filme 2010 bis 2014, eigenes Drehbuch) das Letzte aus dem Kampf-Genre herauszuholen und andere alte Action-Stars wie Bruce Willis, Arnold Schwarzenegger und Chuck Norris durch den Kakao zu ziehen. Vielleicht bekommt Stallone, privat ein großer Kunstsammler, mal einen Ehren-Oscar allein dafür, dass er es als einziger geschafft hat, sich drei erfolgreiche Langzeit-Kinoserien auf den Leib zu schreiben.

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