Kaiserslautern „Man legt einfach alles rein“

Die Zürcherin Valeska Steiner und Sonja Glass aus Hamburg machen seit 2007 gemeinsam Musik – unter dem schön verwirrenden Namen Boy. Der fein gestrickte Songwriter-Pop ihres Debütalbums „Mutual Friends“, das auf dem Label von Herbert Grönemeyer erschien, fand rund um den Globus eine begeisterte Anhängerschaft. Heute erscheint das neue Album „We Were Here“ des Duos.

Ist das, was Sie auf Ihrem neuen Album „We Were Here“ machen, Rock’n’Roll?

Sonja Glass: Nicht im klassischen Sinne, wir zertrümmern keine Hotelzimmer. Für uns ist Rock’n’Roll Freiheit. Manchmal, wenn ich um fünf Uhr aufstehen muss, weil wir zum Flieger müssen, denke ich: So habe ich mir den Rock’n’Roll nicht vorgestellt. Der Rock’n’Roll hat viele Seiten. Wollen Sie Songs schreiben, die man so noch nie gehört hat? Valeska Steiner: Das ist nicht unser Antrieb. Wir wollen Musik machen, die uns selbst etwas sagt und das ausdrücken, was uns bewegt. Ich empfinde es als Privileg, die Möglichkeit zu haben, Dinge, die im Leben passieren, in Bilder umzuwandeln. Für mich ist das Leben ein doppeltes Geschenk. Wollen Sie mit Ihrer Musik etwas Konkretes ausdrücken oder geht es Ihnen eher um Gefühle und Stimmungen? Glass: Das ist bei uns unterschiedlich. Ich bin eher der Musikteil der Band und Valeska der Textteil. Ich versuche beim Schreiben tatsächlich, Stimmungen zu erschaffen. Und Valeskas konkrete Texte basieren auf diesen musikalischen Stimmungen, die immer zuerst da sind. Sie macht oft Sachen, auf die ich nie kommen würde. Das hat mich schon beim ersten Song, den wir jemals geschrieben haben, umgehauen. Welche Rolle spielt Vertrauen beim gemeinsamen Musikmachen? Glass: Man muss darauf vertrauen, dass die andere genauso sehr will, dass diese Band der Weg ist, den man die nächsten Jahre gehen will. Man legt einfach alles rein. Ich habe keinen Plan B und Valeska hoffentlich auch nicht. Aber ich vertraue ihr, dass sie mir das dann sagen würde. Ich habe lange nach Leuten gesucht, die den gleichen Biss haben wie ich. Valeska gefunden zu haben, macht mich glücklich. Ist Ihre Zusammenarbeit harmonisch? Glass: Das ist manchmal auch sehr emotional. Wenn ich einen Akkord an einer bestimmten Stelle wahnsinnig gut finde, aber Valeska anders darüber denkt, kämpfe ich für meine Idee. Ich finde solche Auseinandersetzungen spannend. Uns ist wichtig, dass die jeweils andere total zufrieden ist mit dem, was man macht. Wir wollen ja beide das Beste für die Band. Wie wichtig ist es, mit Jungs zusammenzuspielen? Glass: Das spielt keine Rolle. Dass wir unser Live-Programm ausschließlich mit Männern umsetzen, hat sich so ergeben. Weil das erstens sehr gute Musiker und zweitens enge Freunde sind. Wir hatten nicht das Gefühl, wir brauchen noch Männer. Hat Musik für Sie eine therapeutische Wirkung? Steiner: Ich muss sagen, dass es mir manchmal hilft, über schwierige Situationen zu schreiben. Dadurch setzt man sich damit auf eine konstruktive Art auseinander. Aber es stimmt, was Sonja sagt: Die Leute sollen ihre eigenen Geschichten in unsere Songs legen. Das Lied „Hit My Heart“ beschreibt das gesellschaftliche Phänomen, immer überall verfügbar sein zu wollen. Worum geht es für Sie in dem Text? Steiner: Heutzutage geht es sehr darum, überall zu sein, alles mitzukriegen, sich immer zu präsentieren. Aber im Kern will eigentlich jeder nur irgendein Erlebnis, das das Herz trifft. Ich glaube, man verpasst dieses Gefühl, weil man an zehn Orten gleichzeitig sein will oder weil man gerade auf sein Telefon guckt. Es war schwierig, dafür die richtigen Worte zu finden. Wenn ich über ein gesellschaftliches Phänomen wie dieses schreibe, habe ich keine Lust auf Klugscheißerei mit erhobenem Zeigefinger. Es ist auch nicht das größte Problem der Menschheit, aber es ist mir aufgefallen. Letzte Frage: Apple ist ins Streaminggeschäft eingestiegen. Lassen auch Sie Ihre Musik streamen? Glass: Streamingdienste kann man nicht aufhalten. Leider. Unser erstes Album steht auf Spotify, unser zweites werden wir dort erst mal nicht draufstellen. Ein Album zu machen, bedeutet sehr harte Arbeit. Das sollte wertgeschätzt werden. Gut, dass Apple jetzt die Künstler auch voll bezahlt und nicht erwartet, dass sie ihre Musik umsonst hergeben. Ich persönlich finde es immer schön, etwas in der Hand zu halten, weil ich gerne die Credits und die Texte lese. Das geht beim Streaming natürlich verloren. Album und Termine —Heute erscheint das Boy-Album „We Were Here“ (Grönland/Good To Go) —Konzerte: 8. November in Stuttgart, Wizemann; 15. November in Heidelberg, Halle 02; 17. November in Frankfurt, Gibson.

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