Kaiserslautern Machtwort in Sachen Mendelssohn

„Vollendet das ewige Werk!“ (frei nach Wotans ersten Worten im „Rheingold“): Mit der dritten und vierten CD ist nach der Schostakowitsch-Gesamtaufnahme auch das zweite zyklische Großprojekt des in Neustadt ansässigen Mandelring Quartetts abgeschlossen. Es gilt Mendelssohns Streicherkammermusik, die jetzt in einer Produktion des Labels audite vollständig vorliegt.

Den Musikfreunden sei die aus sieben Quartetten, vier Quartettsätzen, zwei Quintetten (in der Mozart-Besetzung mit zwei Bratschen) und dem Oktett bestehende Einspielung wärmstens empfohlen. Es handelt sich um eine kammermusikalische Großtat, deren zweiter Teil die begeisternden Eindrücke der vorausgegangenen Aufnahmen restlos bestätigt. Auch diesmal überwältigen der mitreißende, elementare Schwung, die fiebrige Intensität der Klangrede und die elektrisierende Hochspannung, die bei den Aufführungen des Mandelring Quartetts allseits gerühmt werden. Sie erhalten unverwechselbares Profil durch die nachschöpferische Fantasie, den geradezu unbändigen gestalterischen Willen der vier Spieler: der Geschwister Schmidt, Sebastian (erste Violine), Nanette (zweite Violine), Bernhard (Cello) und Roland Glassl (Viola). Unwiderstehlich in den Bann ziehen das zündende Brio und die außergewöhnlich weit gefächerte Farbenpalette des Musizierens. Beides wird hörbar begeistert aufgegriffen von den Partnern des Neustadter Quartetts, von Gunter Teuffel (Bratsche) in den Quintetten und im Oktett vom Quartetto di Cremona mit Cristiano Gualco und Paolo Andreoli (Violine), Simone Gramaglia (Bratsche) und Giovanni Scaglione (Cello). Dementsprechend schwer fällt es, sich etwa das Oktett (Es-Dur, op. 20) lebendiger, beschwingter, ja aufregender vorzustellen als in der vorliegenden Wiedergabe. Da setzen im Kopfsatz die beiden vereinten Quartette den stürmischen Impuls, die jugendlich überschwängliche Emphase und den ausladenden sinfonischen Gestus dieses erstaunlich vollendeten frühen Meisterwerks seines 16-jährigen Schöpfers auf beglückend brillante Weise um. Ähnlich suggestiv wirkt der rastlos vorwärts treibende rhythmisch-motorische Drang im ersten Satz des Es-Dur-Quartetts (op. 44, Nr. 3), der stellenweise die Assoziation mit einer wilden Jagd wecken mag; genau wie der hymnisch-ekstatische Jubel und die elektrisierend rauschhafte Begeisterung des B-Dur-Quintetts (op. 87). Zu ihnen bilden die mit unerhört verfeinertem Klangsinn ausgehörten, nachdenklich verhaltenen Ruhepunkte den Gegenpol, die im Oktett gegen Ende des ersten Satzes den entfesselten Taumel bremsen. Auf sie folgen im zweiten Satz gleichsam ins Dämmerlicht tauchende geheimnisvollen Tonvaleurs. Spieltechnische Bravour gehört heutzutage auf Spitzenniveau zu den Selbstverständlichkeiten. Dessen ungeachtet haben die Eleganz und Grazie, die Leichtigkeit und Präzision, mit denen das Mandelring Quartett (& Co.) seine Virtuosenstreiche in den Mendelssohnschen Elfenmusiken, Scherzi und Finalsätzen serviert, absoluten Seltenheitswert. Erwähnt seien die dritten und vierten Sätze des Oktetts und des Es-Dur-Quartetts sowie der erste (Thema und Variationen) und dritte (Capriccio) der vier nachgelassenen, nach Mendelssohns Tod unter der Opuszahl 81 zusammengefassten Sätze. Entscheidend für den außerordentlichen Qualitätsanspruch der Aufnahmen sind die raffinierte Klangartistik des Ensembles, die ungemein plastische Formulierung der Tongestalten, der intensive kammermusikalische Dialog und die äußerst gezielte Linienführung, durch die die Fugen und Fugati allesamt exemplarisch klare Darstellung erfahren. Nicht zu vergessen schließlich: Wo es darauf ankommt, weiß der Primgeiger berückend schön zu singen auf seinem Instrument. Fazit: ein Machtwort in Sachen Mendelssohn.

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