Kaiserslautern Kaiserslautern: Künstliche Intelligenz sorgt für einen "gewaltigen Umbruch"

Andreas Dengel – hier am Steuer von einem der ersten Elektroautos – erläutert Benjamin Ginkel (links) und Andreas Sebald das Pri
Andreas Dengel – hier am Steuer von einem der ersten Elektroautos – erläutert Benjamin Ginkel (links) und Andreas Sebald das Prinzip des Fahrzeugs, das mit anderen, baugleichen Autos koppelbar ist.

Sommerinterview: Das Smartphone weiß, was der Nutzer schreiben will, das Navigationsgerät weiß, wo es hingeht. Künstliche Intelligenz (KI) ist im Alltag präsent. Benjamin Ginkel und Andreas Sebald haben mit dem DFKI-Leiter Andreas Dengel über Rechenleistung, den Lauterer Standort und Whatsapp gesprochen.

Herr Dengel, könnte es sein, dass Sie in Zukunft nicht mehr persönlich Interviews geben, sondern ein Computer für Sie antwortet?

Eine gute Frage. Sofern man bereits Interviews gegeben hat und die Fragen ähnlich sind, könnte man die Aufgabe an ein KI-System delegieren, das die gestellten Fragen analysiert und auf Grundlage der früheren Antworten den Interviewdialog führt, ähnlich wie das bei Chatbots der Fall ist. Da es aber bei uns immer wieder neue Erkenntnisse gibt, führe ich meine Interviews immer noch gerne selbst (schmunzelt). Solche Chatbots simulieren quasi einen Gesprächspartner? Ja, wir kennen das ja von Alexa und Co. Alles, was sich an Fakten orientiert, kann dabei verarbeitet werden. Wenn es in Richtung Emotionalität geht, ist das schon schwieriger. Kann man so einen Chatbot erkennen? Der Chatbot reagiert so lange sinnvoll, wie ich beim Dialog im erwarteten Kontext bleibe. Wenn ich aber ausbreche, etwas Unerwartetes sage, kann ich das System überlisten und an der Reaktion erkennen, ob ich es mit einem Bot zu tun habe.

"Siri und Alexa werden nie menschlich wirken"

Wenn also Alexa oder Siri sagen, dass sie etwas nicht verstanden haben …

Zum Beispiel, aber Siri und Alexa werden immer sachlich und nie emotional, also menschlich wirken. Ich habe solche Systeme schon ausprobiert, nutze sie aber nicht im Alltag, da es letztlich nicht kontrollierbar ist, ob und wann zugehört wird. Auch bei sozialen Netzwerken, wie Facebook, halte ich mich aufgrund der fehlenden Transparenz zurück. Weil Sie Bedenken wegen der Daten haben oder aus Prinzip? Beides. Ich verwende zwar in eingeschränktem Maße Whatsapp, weil es praktisch ist für unterwegs, möchte aber nicht permanent online sein. Ich leite auch keine E-Mails auf mein Smartphone um. Die beantworte ich lieber zu festen Zeiten. Grundsätzlich ist die Währung Daten aber für Anbieter immer im Fokus, um uns besser kennenzulernen, auch bei Whatsapp. Und dazu wird KI eingesetzt. Aha. Inwiefern? Beim Verfassen von Nachrichten bekommen Sie teilweise andere Vorschläge, wie die Wörter zu ergänzen sind, als ich, weil die KI den Dialog auf Ihren Wortschatz anpasst. Elon Musk, der Chef des E-Autoherstellers Tesla, warnt immer wieder mal vor der zerstörerischen Kraft von Künstlicher Intelligenz. Diese Aussagen muss man im Kontext sehen. Die kognitive Fähigkeit von Künstlicher Intelligenz liegt, auch bedingt durch leistungsstarke Hardware, in einigen Bereichen weit über der des Menschen. Daher übertragen wir immer mehr Aufgaben an Systeme mit KI. Die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen, die diese treffen, ist aber essenziell. Nehmen Sie ein selbstfahrendes Auto, das sich in einer kritischen Situation entscheidet, einen Kinderwagen umzufahren, statt ein parkendes Auto zu rammen. Viele KI-Systeme sind heute Black Boxes, in die wir nicht hineinschauen können, da sie nicht mehr programmiert werden, sondern mit Beispieldaten auf ein Verhalten trainiert sind. Wir wissen also nicht, ob das Fahrzeug so reagiert hat, weil es den materiellen Schaden geringer eingeschätzt hat und das Kind im Kinderwagen nicht gesehen hat. Die Erklärbarkeit solcher Entscheidungen ist heute ein wichtiger Forschungsfokus.

"Navis tragen zum Verlust der räumlichen Orientierungsfähigkeit bei"

Wie steht es mit dem Verlust von kulturellen Fähigkeiten? Wenn ich heute mit dem Navi fahre, ist das bequem, aber ich sollte doch wissen, in welcher Himmelsrichtung das Ziel liegt?

Das stimmt, Navigationssysteme tragen zum Verlust der räumlichen Orientierungsfähigkeit bei. Neue Technologien bieten Erleichterungen und kompensieren Fähigkeiten, die wir dann nicht mehr brauchen. Weil wir sie nicht mehr abrufen, verkümmern sie bei uns. Ähnliche Auswirkungen hat die digitale Informationsflut. Menschen lesen kaum noch lange Texte, sondern konzentrieren sich auf Überschriften und Kurznachrichten. Sie verifizieren und hinterfragen nicht mehr. Damit entsteht Raum zur Manipulation. KI-Systeme können leider auch dazu eingesetzt werden, Menschen bestimmte Nachrichten gezielt zu präsentieren, um ihre soziale, gesellschaftliche oder politische Haltung zu beeinflussen. Was folgern Sie daraus? Dass wir uns in einem gewaltigen Umbruch befinden. KI ist keine Revolution, sondern eher eine Evolution im Verhältnis von Mensch zu Maschine, die aber auch viele positive Effekte hat. Kommen wir noch mal zum Anfang. Journalisten werden durch KI nicht ersetzt werden. Aber es gibt Dinge, die können sie zur besseren Vorbereitung eines Interviews von einem KI-System erledigen lassen. Beispielsweise Fakten suchen, Zusammenhänge analysieren und visualisieren. Das kann die Qualität der Nachrichten verbessern. Auch andere Berufsgruppen können Entscheidungen so besser vorbereiten, etwa Ärzte, Juristen oder Hochschullehrer. Viele Routinetätigkeiten mit hoher Komplexität sind auf KI-Systeme übertragbar. Werden dann nicht viele Berufe einfach wegfallen? Fortschritt betrifft immer auch die Kompensation von Fähigkeiten und Fertigkeiten. Schauen Sie sich Bibliotheken und Verlage an. Die Produktion und Nachfrage nach Information hat sich komplett verändert, auch ohne KI. Automatische Übersetzungssysteme mit KI werden ähnliche Auswirkungen auf die Nachfrage nach menschlichen Übersetzern haben. Dafür entstehen neue Arbeits- und Geschäftsbereiche, die es vorher so nicht gab. Inwieweit ist die Arbeitswelt darauf vorbereitet? Sind die Schulen sensibilisiert? Da gibt es noch eine Menge zu tun. Lerninhalte sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten aus der Vergangenheit sind in vielen Bereichen nicht mehr das, was wir in Zukunft brauchen. Gleiches betrifft die Lernmedien und damit auch Unterrichtskonzepte. Es herrscht eine gewisse Sensibilisierung für eine Anpassung, aber die Geschwindigkeit fehlt noch. Sie befassen sich am DFKI auch mit Lehren und Lernen … Ja, wir haben hier im Haus das Immersive Quantified Learning Lab (IQL), ein Forschungslabor, das sich mit interaktiven Kreativräumen für das Lernen beschäftigt. Die Ergebnisse sollen nicht nur ins Lernen mit Schülern einfließen, sondern auch in die Lehrerausbildung.

"Wir bekommen Anfragen von Schulen aus dem gesamten Bundesgebiet"

Kommen die Schulen deswegen auf Sie zu?

So ist es. Zuerst war es umgekehrt, wir sind auf die Schulen zugegangen, aber mittlerweile bekommen wir Anfragen von Schulen aus dem gesamten Bundesgebiet. Die Neugier ist groß. Wie sehen die Rückmeldungen aus? Die sind bisher sehr positiv. Das Lab ist erst seit ein paar Wochen fertig, aber Lernende wie Lehrkräfte haben großen Spaß an unseren Experimenten. Letztlich helfen wir damit, wechselseitig besser zu verstehen, wie Lernerfolg zustande kommt. Sie haben vorhin im Zusammenhang mit KI von einer Evolution gesprochen. Wie hat sich das DFKI insgesamt entwickelt? Wir haben uns seit 1988 kontinuierlich weiterentwickelt und auch kritische Zeiten gemeistert. Heute sind wir das größte KI-Zentrum der Welt, kratzen dieses Jahr an einem Auftragsvolumen von 50 Millionen Euro und stellen bald den 1000. Angestellten ein. Die Nachfrage ist weltweit da. Und: Wir sitzen nicht im Silicon Valley, sondern in Kaiserslautern. Wir können also nicht die Straße überqueren und mal kurz bei Amazon, Apple, Facebook oder Google anklopfen, wir müssen die Marke DFKI und den Standort pflegen. Das DFKI genießt weltweit hohe Anerkennung und seine High-Tech-Ausgründungen, wie Empolis, Insiders oder B4value.net, um nur einige zu nennen, haben das Bild von Kaiserslautern verändert und sind heute mit prägend für den Strukturwandel. Übrigens waren wir vor drei Wochen gerade wieder beim Notar, um ein neues Start-Up auf den Weg zu bringen. Stichwort Wachstum: Wie steht es mit der Erweiterung des DFKI-Gebäudes hier am Standort? Wir haben ein Grundstück gekauft und planen, nach Genehmigung durch unseren Aufsichtsrat, bald mit der Baumaßnahme anzufangen. Geplant ist eine vierstöckige Erweiterung mit einer Grundfläche von 17 mal 30 Metern.

"Wir laden Unternehmen ein, bei uns ein Labor einzurichten"

Wie sehen Sie die Zukunft des DFKI?

Verfügbare Datenmengen und neue leistungsstarke Hardware treiben die KI voran. Oft fehlt aber das Verständnis, was KI leisten kann und an Mehrwerten für das eigene Unternehmen bietet. Mittlerweile laden wir Unternehmen ein, bei uns vor Ort ein Labor einzurichten mit eigenen Mitarbeitern, die in Projekten mit unseren Experten zusammenarbeiten. Obwohl die Idee noch jung ist, haben wir bereits vier Labs, von Hitachi, Allianz und Continental, dazu noch IAV. IAV? Was ist das? Ein Ingenieursdienstleister für die Automobilindustrie. Das Unternehmen testet auch Motoren, wobei sehr große Mengen an Daten, mehrere Hundert Datenreihen parallel, anfallen. Diese können wir mit KI-Methoden analysieren und so zum Beispiel frühzeitig mögliche Fehler oder Materialermüdungen erkennen. Dazu braucht man auch entsprechende Hardware. Wir haben hierzu spezielle KI-Rechner mit einer Rechenleistung von drei Petaflops. Das sind drei Billiarden Rechenoperationen, also Additionen oder Multiplikationen, pro Sekunde. Was heißt das für Ihre Arbeit? Das heißt zum Beispiel, dass wir heute beim Trainieren von Systemen, die Bilder erkennen sollen, bis zu 500 mal schneller sind als noch vor zwei Jahren, Das ist unter anderem bei der Entwicklung von selbstfahrenden Autos sehr wichtig. KI ist nie weit entfernt von Science-Fiction. Letzte Frage: Welches ist denn Ihr Lieblingsfilm-Science-Fiction-Film? Und warum? I, Robot. Der zeigt ganz gut, was KI könnte und auch welche Probleme damit verbunden sein können. Info Die Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz (ZIRP) veranstaltet die Zukunftsmesse „Erlebnis KI“, die bis heute läuft. Andreas Dengel spricht heute, 15 Uhr, im Fraunhofer Zentrum zu dem Thema „Denken und denken lassen – KI für den Menschen“. Das Programm der Messe, an der noch weitere Forschungsinstitute in Kaiserslautern beteiligt sind, steht im Internet unter www.zirp.de

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