Kaiserslautern „Ich glaube an Experten“

„Ich schätze Leute, die radikal sind in ihrer Arbeit“, sagt Schauspieler Ulrich Matthes über das Team der „Tatort“-Folge „Im Schmerz geboren“, in der er als Superbösewicht auftritt. Und für 47 Tote sorgt. Die Redaktion des Hessischen Rundfunks hat für den Krimi, der einen Spaghettiwestern auf Shakespeare und Tarantino treffen lässt, gestern Abend den Medienkulturpreis des Festivals des deutschen Films in Ludwigshafen erhalten.

Am Vorabend spielte Matthes noch am Deutschen Theater in Berlin Dürrenmatt, eilte dann, ohne ins Hotel einzuchecken, zu Interviews nach Ludwigshafen. Und erlebte sich nach dem WM-Spiel („Natürlich guck’ ich!“) dann erstmals als gnadenlosen Schurke auf der großen Leinwand: „Das ist schon ein eigenartiges Gefühl. Als Theaterschauspieler sieht man sich ja selbst nie.“ Theater ist Matthes’ größte Liebe trotz seiner Erfolge im Kino etwa mit Tom Tykwers „Winterschläfer“, Volker Schlöndorffs „Der neunte Tag“ oder Oliver Hirschbiegels „Der Untergang“: „Ich kann, wenn ich es pathetisch sagen soll, ohne Theater nicht sein. Ich brauch’ die Energie des Zuschauerraums, die jeden Abend wieder neu entsteht. Diese Energie ist unschlagbar, das ist fantastisch.“ Wobei er auch das konzentrierte Arbeiten eines Filmdrehs schätzt, wie er voller Energie ebenfalls im Superlativ ausführt: „Die Bündelung aller Kräfte für ein paar Sekunden, die es dann für immer gibt, ist auch fantastisch.“ Da er Ensemblemitglied in Berlin ist, sind ihm manche Filmrollen jedoch schlicht „durch die Lappen gegangen“, blickt der 55-Jährige zurück – aber ohne Wehmut. Schließlich werde er so auch nicht auf Typen festgelegt. „Nach dem „Untergang“ kamen zwei Angebote, eins aus Hollywood sogar, noch mal Goebbels zu spielen. Natürlich will man das nicht.“ Und dass Tykwer ihn nicht noch einmal in „Cloud Atlas“ besetzte, versteht er: „Wenn ich die Auswahl habe zwischen Tom Hanks und mir, würde ich natürlich auch Hanks nehmen.“ Wegen seiner Bühnenverpflichtungen hat Matthes auch die Weltpremiere des „Tatorts“ beim Filmfest München verpasst, wo „Im Schmerz geboren“ als bester Fernsehfilm ausgezeichnet wurde. Dass es nun einen zweiten Preis gibt, noch dazu auf einem Festival, das Fernseh- und Kinofilm als gleichrangig behandelt, findet er großartig. „Wenn das Fernsehen insgesamt vielleicht ein bisschen riskanter wäre, würden alle profitieren. Die Zuschauer sind nicht so unwillig, sich auf Experimente einzulassen, wie es manche Leute meinen.“ Dass die Trennung in den Köpfen zwischen Kino und Fernsehen „allmählich aufgebrochen“ wird, schätzt Matthes ebenfalls. „Es ist ja für einen Filmregisseur überhaupt nicht mehr ehrenrührig, Fernsehen zu machen. Hollywood hat es vorgemacht, da drehen ja auch Weltstars fürs Fernsehen.“ Dass sich der Hessische Rundfunk traue, ein bewährtes Format wie den „Tatort“ weiterzuentwickeln, hat Matthes davon überzeugt, bei „Im Schmerz geboren“ mitzuwirken: Endlich einmal kein Sozialdrama, sondern ein großer Spaß, „der das überetablierte Genre aufbricht und sprengt“. Und der ein Genuss für einen Schauspieler ist: „Ich liebe es, wie ein Kind im Sandkasten zu sein. Ich bin noch immer sehr neugierig. Auch nach 30 Jahren hat sich daran überhaupt nichts geändert.“ Und dass der „Tatort“ doch recht gewalttätig ausgefallen sei, sieht er durch das Setting abgefedert: „Ich habe noch nie Freude an Gewaltdarstellungen gehabt. Aber hier ist die Gewalt in einem surrealen Kontext geborgen, so dass sich das Bedrohliche doch verliert.“ Zudem traut Matthes dem Zuschauer zu, dass er zwischen Film und Wirklichkeit unterscheiden kann. Vor allem aber liebt der Berliner eben frische Ideen: „Ich habe vor jeder Form von Wagemut größten Respekt.“ So mag er auch die neuen wilden Filme aus Berlin wie „Love Steaks“, die ohne Drehbuch und Fernsehförderung daher kommen: „großartig, wunderbar“ – auch als Chance für Schauspieler. Eine Spur problematischer findet der 55-Jährige dagegen den Trend zum Dokumentarischem im Theater, den Einsatz von Laien: „Ich sehe so etwas zwischendurch irre gern, das ist als theatrale Form interessant und wichtig.“ Doch das literarische Theater sei nicht in Gefahr. „Es wird nicht aussterben, solange es das Bedürfnis gibt, sich das eigene Leben sublimiert vorspielen zu lassen. Ich glaube an die Kraft des Schauspielers.“ Und ein Schauspieler brauche Talent und eine Ausbildung; die Kraft der Imagination und Empathie. Matthes’ Fazit: „Ich glaube an Experten.“ Ob im Theater oder auch im Journalismus, sagt der „passionierte Zeitungsleser“, der das Lesen guter Texte „nach wie vor beglückend“ findet. „Ich glaube an Texte.“ Auch an die alten, an Kleist, Schiller und Goethe, die „aufgeknackt“ werden wollen für das Heute. Auch für Jugendliche. Matthes erzählt von einer „Minna von Barnhelm“-Vorstellung, nach der sich eine spannende Diskussion mit Schülern aus dem Wedding ergab, etwa über „Ehre“: „Ich glaube nicht, dass man Migranten unbedingt mit vermeintlich migrantenspezifischen Stoffen begegnen muss.“

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