Kaiserslautern Hund, Katze, Dichter

Es ist still. Draußen Regen. Reben. Die Villa Ludwigshöhe residiert in der Ferne zwischen Himmel und Waldrand. Drinnen das Kaminzimmer. Ein langer Tisch und der Ofen. Der leere Korb von Kater Nero auf dem Fenstersims. An den Wänden ein Druck mit dem „De Walter Fritz“-Gedicht von Michael Bauer aus Herxheim. Fotos von Autoren aus dem Rest der Welt. Alle schon mal hier gewesen. In Edenkoben. Im Künstlerhaus, das europaweit berühmt ist für seine Übersetzerwerkstatt „Poesie der Nachbarn“. Mircea Dinescu, der Dichterrevoluzzer, der im rumänischen Staatsfernsehen das Ende der Ära Ceausescu verkündet hat. Nobelpreisträgerin Herta Müller. Hans Bender, Walter Helmut Fritz, Katja Lange-Müller, Elke Erb, Ilma Rakusa, Dichter aus Finnland, Bulgarien, Lyrikerinnen aus Italien, Frankreich, der Türkei. Viele kennt man. Einige nicht. Wer weiß schon, wie slowenische Poeten aussehen. Zwischendrin zwei Bilder von Hans Thill. Ex-Sponti. Ex-Verleger. Übersetzer. Dichter. Huchel-Preisträger. Thill lächelt jung auf einem der Fotos von damals. Heute ist er so etwas wie der Chef hier, auf Halbtagsbasis, ein großer, gut aussehender Mann, Seitenscheitel, Dezent-Mähne, ein Rest Bubenlächeln, leise ironischer Blick, 60 Jahre alt. Er hat im Prinzip also auch zu verantworten, dass die CD „The Best of 1980-1990, Vol. 8“ neben dem Abspielgerät im Kaminzimmer liegt. Hans Thill hat Brezeln dabei und zwei Stipendiaten im Schlepptau. Weil ich hier bin, wird das wohl doch kein ganz normaler Tag im Künstlerhaus. Ein Hund bellt im Obergeschoss, was gar nicht sein kann, weil – außer Dienst-Kater Nero, der auf Staatskosten frisst – Haustiere nicht erlaubt sind. Gerhard Falkner, die kurzen grauen Haare hochgegelt, Kapuzenjacke unterm Sacco, Chucks an den Füßen, geboren am 15. März 1951 und ein Dichterheld der Dichter, sitzt am langen Tisch und bittet, zum „Du“ überzugehen: „Wir sind Berliner.“ Marko Schiefelbein, 31, ein Videokünstler sagt trotzdem lieber „Sie“ und „Ihnen“. Er ist aus Stralsund. Wir plänkeln rum. Die Pfalz. Der Wein. Wie bedauerlich (für uns), dass der Daniel (auch er ein Berliner) nicht da ist. Unterwegs ist Daniel Falb, Autor mit Vergangenheit als Portier und Obdachlosenhelfer, der dritte Stipendiat im Haus derzeit. Im Regen. Zwischen Reben. Zu Fuß. Wer weiß schon, wo. Von Eva Roman, guter Name für eine Schriftstellerin übrigens, der Vierten im Bunde, hört man nur ihren gegen die Hausordnung verstoßenden Hund. Jede und jeder macht so sein Ding. Marco Schiefelbein, der in einem sehr leeren Atelier an minimalistischen Ein-Personen-Filmen bastelt, in denen sich zum Beispiel eine Frau traumverloren sprechend in die Hauptfigur eines Jeans-Werbespots hineindenkt, muss einkaufen gehen, wortwörtlich. Daniel Falb wird bis zum Abend nicht auftauchen. Hans Thill zieht sich in sein Büro zurück, von dem aus man wie von einem Kommandoturm aus, auf den Innenhof des Künstlerhauses schaut. Kater Nero, vom Gebell verschreckt, liegt auf Hans Thills Sofa. Gerhard Falkner würde jetzt gerne in sein Stipendiaten-Apartment gehen. Arbeiten. Aber einen Moment noch nimmt er sich dort Zeit für den Gast. Winzerhausrustikalität, ein Gründerzeit-Vertigo, die Ikea-artige Küche, sie warten im Obergeschoss. Vom Schreibtisch aus fällt der Blick auf Reben, kilometerweit. Dem Star-Stipendiat erscheinen sie „wie amerikanische Friedhöfe“. Im Hintergrund präsidiert das Hambacher Schloss die Rheinebene. Auf dem Schreibtisch, ein Laptop, Marke Samsung, ein dicker Roman-Manuskriptstapel, den Falkner gerade für den Berlin Verlag übersetzt. Seine eigenen, exquisiten Bände erscheinen meist in kleineren Verlagen. „Ich habe keine großen Verkaufszahlen“, sagt er, „aber mein Ruf ist gut“. Eine historische Lyrik-Anthologie aus der Künstlerhausbibliothek liegt auf dem Tisch. Ein grünes Mäppchen, Stifte. Falkner sagt: „Ich arbeite zuerst an eigenen Sachen, morgens ab sieben. Exzessiv kann man ja die Nächte hier nicht verleben. Wenn die Konzentration nachlässt, wechsele ich zur Übersetzung.“ Der Flachbildfernseher im Zimmer wirkt seltsam deplatziert. Michael Braun, der Heidelberger Literaturkritiker (auch für die RHEINPFALZ) schreibt über die Gedichte des halb in Berlin, halb in Franken lebenden Sprachdurchdenkers, der gerne mit Musikern, bildenden und Performancekünstlern zusammen live auftritt, sie zelebrierten die Konfrontation der alten Basiswörter traditioneller Dichtkunst mit den Zeichensystemen des Online-Daseins. „Die Engel“, heißt es in Falkners neuem Buch „Ignatien. Elegien am Rande des Nervenzusammenbruchs“, „liegen als Punks mit geröteten Augen / vor den Portalen von Facebook“. Im Vorwort bezieht er sich explizit auf den Gründer der Homöopathie. Falkner ist weit gereist als Dichter, 2013 war er mit Stipendium ein Jahr in Istanbul, 2014 ein paar Monate in Los Angeles. „War alles toll“, sagt er. Seit seinem Langgedicht über das Berlin der Jahre 1989 bis 1995 gilt er als Intimus der Hauptstadt. Gerade ist er nach Pankow gezogen, nach langen Jahren mit Wohnsitz Prenzlauer Berg. Dort sei es aber einfach nur noch doof. „Ich bin eine urbane Person. Aber auch ein Amateur-Ornithologe und – Botaniker“, sagt Falkner über seine mentale Ambivalenz. Für andere Stipendien ist der Vielfach-Preisträger berufen worden. Für Edenkoben hat er sich beworben. Fünf Monate, in denen er sich nicht „um das Geldverdienen kümmern“ muss. Auch die Anzahl seiner Auftritte hat er reduziert. Der Mensch existiere momentan in einer Art Stand-by-Modus. Das Subjekt sei im dauernden Alarmzustand, vollziehe eine pausenlose Ich-Entleerung und der innere Monolog, die Kraftquelle, werde dadurch stillgelegt, heißt es in einem essayistischen Text von Falkner. „Ich weiß, was ich will und wie ich mir die Zeit einteile“, sagt er. Wir einigen uns darauf, dass das Künstlerhaus Edenkoben, wo man ohne Auto – keiner der vier Stipendiaten besitzt eines – drei Kilometer unterwegs ist, um einen Supermarkt zu erreichen, eine Art der Ruhigstellung bedeuten kann. Dann ist Zeit, zu gehen. Für Falkner Zeit, zu übersetzen. Im Kaminzimmer sitzt Eva Roman und beißt in eine von vorhin übrig gebliebene Brezel. Eva Roman, 1980 in Aachen geboren, aufgewachsen in Augsburg, Studium (Literatur, Romanistik, Kommunikationsdesign, Berlin, Trier, Paris), Absolventin des Literaturinstituts in Leipzig, wo sie auch lebt. In einem Plattenbau in Grünau, in dem früher SED-Funktionäre wohnten, in einer „gescheiterten Utopie“, wie sie sagt. Im elften Stock, 199 Euro Miete für 35 Quadratmeter, gute Aussicht. Und jetzt zwei Monate pfälzisches Idyll. Vergangenes Jahr ist bei Wagenbach ihr Debütroman erschienen, „Siebenbrünn“, eine hochkonzentrierte, poetische Tiefbohrung über das Vergessen, die in einem real existierenden Stadtteil von Augsburg spielt. Die Kritiken waren gut. Für das Stipendium habe sie sich beworben, weil die Ausschreibung so frei, so schön, so großzügig klang. Motto: „Kommen Sie, wir freuen uns“. So hat sie das wahrgenommen. Es gebe keine Vorgaben. Man müsse nichts über Edenkoben schreiben. Trotzdem hortet Künstlerhaus-Programmchef Thill Dutzende Elogen, Reminiszenzen, poetische Reaktionen auf den Ort der Dichter und Blicke im Werk derjenigen, die schon einmal hier gewesen sind. Bei Eva Roman steht Theresa Hahl im Kaminzimmer, die im Herbst 2014 hier Stipendiatin gewesen ist, die Frau mit der Mütze, eine Poetry-Slammerin. Ich denke: Freundinnen. Dabei haben sich die beiden eben erst kennengelernt. Theresa Hahl hat nachher einen Auftritt an der FH für Finanzwirtschaft in Edesheim, Nachwehen ihres Aufenthaltes im Künstlerhaus, sie wird nachher in einem der Gästezimmer schlafen. Eva Roman dagegen ist jetzt erst mal raus aus der Literatur. „Wenn ich jemanden treffe, ist es schon vorbei mit dem Schreiben. Ich bin dann schon wieder in der Realität“, sagt sie. Das Telefon in ihrer Stipendiatenwohnung hat sie ausgehängt. Artaud, der illegale Weimaranermischling, tapst aufgeregt herum. Auf dem Küchentisch „Der Tod in Venedig“, Thomas Mann. Zu trinken gibt es Traubensaft, die Hausmarke von einer Winzerin, die Eva Roman bei ihren täglichen Spaziergängen mit Artaud kennengelernt hat. In ihrem zweiten Roman, an dem sie gerade schreibt, hat sich auch „plötzlich“ ein Weinberg eingeschlichen. Wie? Sie weiß es selbst nicht. „Meine Bücher bewegen sich mit mir“, sagt die schlanke Frau mit den kurzen Haaren. Sie wirkt so: grüblerisch, versunken, aber auch fallweise heiter und lebenspraktisch, trägt Pulli, Jeans und derbe Schuhe. Der Hund bestimme ihren Tagesablauf, sagt sie. Und das Schreiben. Natürlich. Um die Ost-/West-Problematik solle es im Groben in ihrem neuen Buch gehen, erzählt die Jungautorin. Die sei in Leipzig, wo am Hauptbahnhof ein Banner mit der Aufschrift „Schwaben zurück nach Berlin“ hängt, und jeder automatisch nach seiner Herkunft gefragt werde – Ost oder West – ungemein wichtig. Aber hier? Hier merke sie, wie nebensächlich das alles sein kann. Kein Thema. Weit weg. Eva Roman schaut beinahe irritiert. Artaud will gestreichelt werden. Braver Hund. „Ich bin mit 200 Seiten Manuskript gekommen“, sagt Eva Roman, „jetzt habe ich 80“. Die Pfalz fördert offenbar die Konzentration. Draußen, Nacht. (Fotos: Archiv, Verlag)

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