Kaiserslautern Herausforderung für beide Seiten

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Für die Spielzeit 2015/2016 war vorgesehen, dass zwei Choreographer in Residence die Arbeit des ausgeschiedenen Chefchoreographen Stefano Giannetti am Pfalztheater zu übernehmen. James Sutherland, der inzwischen zum neuen Ballettchef gekürt wurde, brachte „Romeo und Julia“ auf die Bühne im Großen Haus (wir berichteten). Nun haben Freunde des Balletts ab Samstag Gelegenheit, Katrin Hall kennenzulernen. Ihre Choreographie kommt als Uraufführung mit dem Titel „Unterwegs“ auf die Werkstattbühne.

Wenn Katrin Hall von ihrem Herkunftsland spricht, kann sich das so anhören: „Island ist eine Insel, rundum Wasser – da ist es schwierig wegzukommen.“ Dennoch ein Unterwegs – wenngleich ein abstraktes – zu choreographieren bedeutet, Spuren dieser Inselheimat auf einem Weg mit allen Öffnungen und Hindernissen zu hinterlassen, Bilder von Emotionen und Ankämpfen, beispielsweise Selbst- oder Fremdbestimmung, Konfrontationen auf allen Ebenen eines Daseins. Sie sei, so sagt sie, so geprägt. Daran ändert kein weltweites Auftreten und Arbeiten. Schon bei der Probe wurde jene Spannung spürbar, die aus der Insellage einerseits und globalen Arbeitsstätten andererseits erwächst und Halls Verbildlichungsrepertoire beeinflusst. Aus jener Fremde brachte sie zwei Gasttänzer aus Minnesota/USA mit: „Katelyn Skelley und Duncan C. Schultz kennen Art und Arbeitsstil meines Choreographierens..“ Damit gab Katrin Hall einen eindeutigen Hinweis, dass die sieben Tänzer der Pfalztheater-Compagnie neue Erfahrungen machen. Ist doch der Prozess, sich das Stück anzueignen, bereits Unterwegssein, Antrieb und Wegmusik getanzten Bewegens. Eine Reise ohne Start und Ziel. Durch die erwähnte geografische Spannung ergeben sich spannende Berührungspunkte kultureller und persönlicher Sichtweisen. Gerade tut sich etwas auf der Tanzfläche, die auffallend hell verlegt ist. Auf ihr verteilt, liegen silbern glänzende Würfel, eine mobile Kulisse, die von den ebenfalls farblos-hell gekleideten Tänzern aufgegriffen, gestemmt, geschoben oder gestapelt werden. Mal zu einer Mauerwerkwand, mal zu schmalen Passagen, in denen Skelley zunehmend eingeengt kauert, mal hoch aufgetürmt, so dass die Lichtreflektionen des silbernen Materials wie bewegte Wolkenmuster an schwarzer Werkstattbühnenwand auftauchen. Oben angekommen, ist der Blick vielleicht ein Synonym für Wolkenkratzer oder Leuchttürme. Am Boden dagegen Tabula rasa – so sagt Ausstatterin Filippia Elisdóttir. Das monochrom Helle steht für Erinnern, etwa an einen entleerten Garten, an Monotonie, die nichts preis gibt, an Vorfahren und ursprüngliches Bewegen in unseren Knochen. Dabei stellen die silbernen Spiegelfläche Blicke von außen nach innen dar. Außenstehende, wie etwa das Publikum, erkennen sich, werden Teil der Unterwegs-Interpretation. Apropos interpretieren: So individuell wie ihre Arbeitsweise, so frei lässt sie die Tänzer aus sich herauskommen, lässt zu, dass die Compagnie Teil ihrer Idee wird, indem sie jene Schritte in Figuren übersetzt. „Ich muss zuerst den Menschen kennenlernen. Vom Tänzer erfahre ich, weil ich ihn als Mensch kenne.“ So entlockt sie ihrer der Truppe Inhalte, die von Tanzdialogen über Pantomimen bis zu Expressionsformen reichen. Dafür stellt sie die Aufgabe, diese in Kurzformen umzusetzen, so dass sie diese wie ein Puzzle zusammensetzen kann. Den Kompositionen ergeht es übrigens ähnlich. Hall wählt Passagen aus, die sie später aneinanderreiht. Die Nahtstellen lässt sie von Stephan Stephenson überarbeiten. Konsequenterweise wird jede Choreographie zur Gemeinschaftsproduktion. Ihr Credo lautet: Der Kopf denkt Szenen, die Schritte folgen intuitiv. Vielleicht spielt in diesen Kontext der naturbedingte Umgang mit isländischen Naturgewalten eine Rolle: Das Miteinander entscheidet. Die Choreographie beinhaltet auffallend kompakte Armarbeit, Ansätze leichter Akrobatik und eine Tanzkörpersprache, die viele Zeichen kennt, mit Attributen, Adjektiven und Relativsätzen „spricht“ und teils verschnörkelt poetische Wortkreationen vertanzt. Die Probenzeit insgesamt erweist sich als ungewohnt zeitraubend. Denn was Hall von den hiesigen Tänzern erwartet, ist neu. Das sei, so Hall, eine Herausforderung für beide Seiten. Und so lobt sie Dafne Barbosa, Laure Courau, Aurore Nicolas, Eléonore Turri, Michal Dousa, Jean-Francois Gabet, Chris Kobusch, Salvatore Nicolosi und Kei Tanaka für Ausdauer, Willen und Fleiß. Und wieder schallt über die Bühne das aufmunternde: „Seven – eight – nine – ten! And go!“ Los geht’s. Weit weg von klassischen Tanzwelten, vertritt Hall die Auffassung, dass eine klassische Ausbildung zwar immens wichtig sei, doch „lasst uns in unserer Zeit unsere Bilder umsetzen. Einfach zeitgenössische Kunst im 21. Jahrhundert kreieren.“ Infos Premiere am 14. Mai, 20 Uhr, Werkstattbühne; weitere Termine am 21., 28., 29. und 31. Mai, 5., 8. und 9. Juni; Karten: 0631/3675-209 und www.pfalztheater.de.

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